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Vielfalt des italienischen Pop: Große Gefühle, wie in der Oper
In Italien wurde die Oper erfunden, in der Publikumsgunst aber ist sie dort abgehängt, weit hinter der Canzone. Die wird beim San Remo-Festival gefeiert. Warum gibt es sowas bei uns nicht?
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Ich liebe italienische Oper. Deswegen schmerzt es mich, dass sie ausgerechnet in dem Land, wo sie vor 426 Jahren erfunden wurde, nur noch ein Schattendasein fristet. Es gibt – im Vergleich mit Deutschland – beschämend wenige Aufführungen, Musiktheater wird als Vergnügen für eine bürgerliche Minderheit wahrgenommen – und die Opernhäuser selbst tun wenig, um diesem Vorurteil entgegenzutreten.
Dabei singen die Italienerinnen und Italiener immer noch genauso gerne gut gelungene Melodien mit wie zu Zeiten von Rossini, Verdi und Puccini. Nur manifestiert sich diese Begeisterung eben in anderen Formen, in den Canzoni und Schlagern, in Pop, Rap und Rock. Wie groß die stilistische Vielfalt dabei ist, habe ich jetzt aus Eric Pfeils Buch „Ciao, amore, ciao“ gelernt: Anhand von 100 Songs entfaltet der Autor darin das Panorama der italienischen Nachkriegsgeschichte, auf ebenso unterhaltsame wie kenntnisreiche Weise.
Das kulturelle Erbe frisch halten
Besonders faszinierend finde ich das Phänomen San Remo, also den 1951 begründeten nationalen Gesangswettbewerb, der jeweils im Februar an der ligurischen Küste ausgetragen wird. Fünf Tage lang dauert das „Festival della canzone italiana“, wobei ein ganzer Tag den Coverversionen früherer Hits gewidmet. Das hält das kulturelle Erbe frisch.
San Remo ist ein nationales TV-Ereignis, wer von den 30 Teilnehmenden am Ende zum Sieger gekürt wird, darf Italien beim Eurovision Song Contest vertreten. Warum gibt es das in Deutschland nicht? Italien verteidigt seinen Ruf als Musiknation beim ESC, bei uns wird der Vorentscheid unter No-Names ausgetragen, danach bleibt nur die Hoffnung, nicht schon wieder Letzter zu werden.
In der italienischen Popmusik, auch das wird aus Eric Pfeils inspirierendem Soundreiseführer deutlich, geht es immer um die ganz großen Gefühle. Um Pathos, um Show, da werden auf der Bühne Hände gerungen und Augen gerollt, die Verse handeln von Liebe und Tod, Einsamkeit, Eifersucht, Verzweiflung. Das kommt mir als Opernfan vertraut vor. Umso unerklärlicher, dass Oper heute so abgehängt ist in Italien.
Im Sommerhit des Jahres 1980, „Luna“ von Gianni Togni, versteckte sich ein Zitat aus „Don Giovanni“. Ein verliebter Teenager schreibt da nachts „Evviva le donne, evviva il buon vino“ auf die Hauswände, Worte, die der Titelheld von Mozarts Meisterwerk in der Finalszene singt. Mamma mia, hätte das nicht der Anfang einer Wiederannäherung zwischen diesen beiden seelenverwandten Genres sein können?!
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