
© shahrbanoo sadat
Plakate bedrohter Künstler in der ifa-Galerie: Flucht und Überleben in Zeiten der Verfolgung
Kunst unter Druck: Die ifa-Galerie präsentiert erstmals eines der größten Schutzprogramme für gefährdete Kulturtätige weltweit. Die Initiative trägt den Namen des 2017 verstorbenen Museumsmanns Martin Roth.
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Kampflustig schwingt die Frau im pink-orangen indischen Gewand ihren Speer. Ihr Gesicht verbirgt sich hinter einer Kuhmaske. Sie tanzt auf offener Straße. Sujatro Ghosh aus Kolkata wirft mit seiner vor Jahren begonnenen Fotoserie eine provokante Frage auf: „Müssen Frauen Kühe sein, um sich in diesem Land sicher zu fühlen?“ Er meint sein Herkunftsland Indien. Derzeit lebt er in Deutschland.
Eine ganz andere künstlerische Strategie verfolgt der brasilianische Performer Maikon K. Ein Foto zeigt ihn nackt inmitten einer riesigen, durchsichtigen Plastikblase, die ihn wie ein aufgeblähter Kokon umfängt: isoliert, aber sichtbar in seiner ganzen Verletzlichkeit. Wie eine Schlange wird er sich im Laufe seiner Performance häuten und das Abgestorbene abwerfen, das seinen Körper umhüllt. Er landete dafür in seiner Heimat im Gefängnis. Die Filmemacherin Shahrbanoo Sadat dagegen hockt im Inneren eines riesigen, leeren Militärflugzeugs. In solch einer deutschen Maschine floh sie nach der Machtübernahme der Taliban aus Afghanistan.

© sujatro ghosh
Nicht flach an den Wänden, sondern raumgreifend an dünnen Holzstäben und auf Pappen stellen sich einem diese Bilder entgegen. Schon von draußen durch die großen Schaufenster der ifa-Galerie in Berlin-Mitte sichtbar, formiert sich eine vielstimmige Demonstration. Es sind Fotoarbeiten, Gedichte, Graphic Novels, Farbgespinste, extrem vielfältig in ihrer Machart. Sie treten ein für Freiheit, die Basisforderung im Leben und in der Kunst.
Über 40 Stipendiaten der Martin-Roth-Initiative haben jeweils ein Plakat beigesteuert und ein knappes persönliches Statement abgegeben. Es sind Schlaglichter. Sie erzählen vom künstlerischen Überleben, von Fluchterfahrungen, vom Ankommen und Zurückwollen, vom widerständigen Weitermachen. Genau um dies zu ermöglichen, ist die Martin-Roth-Initiative da.

© faetusa tirzah
Zum ersten Mal seit ihrer Gründung im Jahr 2017 geht dieses einzigartige Programm an die Öffentlichkeit. Die Initiative ist nach eigenen Angaben eines der größten Schutzprogramme für gefährdete Kulturtätige weltweit und trägt den Namen des 2017 verstorbenen Museumsmanns Martin Roth. Er leitete die Kunstsammlungen Dresden, das Victoria & Albert-Museum in London und zuletzt das ifa-Institut. Posthum lässt die Initiative seine Anstöße global weiterwirken.
Getragen wird sie vom Goethe-Institut und vom Institut für Auslandsbeziehungen (ifa). Bereits 620 Menschen aus 41 Ländern wurden bislang unterstützt. Schwerpunktländer sind Afghanistan, Myanmar, Sudan, Pakistan, Belarus, Russland. Die in der Ausstellung vertretenden Akteure konnten ihre künstlerische Praxis in Deutschland fortsetzen. Zugleich werden Kunstschaffende in ihren Herkunftsregionen gefördert, etwa über Partnerorganisationen, Einrichtungen und Netzwerke in Nachbarländern.
„Once We Were Trees, Now We Are Birds“ zitiert der Ausstellungstitel ein überliefertes Lied aus der Türkei. Tatsächlich ist die Spannung zwischen Verwurzelung und Migration überall spürbar. Vögel als Schlüsselmotiv, ob am Rand einer Kaffeetasse auftauchend, scharenweise aus Mehl geformt oder gezeichnet, kehren mehrfach wieder. In holzschnittartiger Bildsprache zeigt Uladzimir Hramoich, der in Minsk Graphik studierte, einen „Pfeilstorch“ auf luftiger Baumkrone. Ein Bild wie aus einem alten Kinderbuch. Aber im Hals des Zugvogels steckt ein blutroter Pfeil. Tatsächlich gibt es Störche, die in Afrika von einem Speer durchbohrt, es trotzdem zurück nach Deutschland schafften.
Eisiger Wind weht durch die Zelte des verschneiten Flüchtlingslagers, das Uygar Önder Şimşek dokumentarisch fotografiert hat. Er habe nie geglaubt, so der Kommentar des Künstlers, dass er einmal selbst zum Geflüchteten werden würde. Es ist ein großartiges Foto, berührend und stark. Wer will, kann es sich zu Hause an die Wand hängen. Alle Plakate der Ausstellung liegen im Free-Shop zur kostenlosen Mitnahme bereit. Auch so lässt sich Reichweite erzielen, ganz analog.
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