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Kosmopolit - nicht immer ganz freiwillig. Adam Zagajewski im Mai 2019 beim Betreten des Pariser Elysée-Palast, wohin ihn Präsident Macron zusammen mit anderen Intellektuellen zu einem Gespräch über Europa eingeladen hatte.

© Ludocciv Marin / AFP

Poesie und Essay: Geschwister im Geiste

Ein Vermächtnis: Adam Zagajewskis "Poesie für Anfänger" sammelt 23 Essays über große Dichter und Dichterinnen des 20. Jahrhunderts.

Von Gregor Dotzauer

Essays und Gedichte sind literarische Geschwister. Sie leben, wie Adam Zagajewski schreibt, beide von der Freiheit, alles mit allem verknüpfen zu können, und von der Kunst, daraus wie in der Chemie überzeugende Verbindungen herzustellen. Anders als die Philosophie jedoch stellen sie die Beweglichkeit des Gedankens über die Hierarchie von Begriffen: Das Bezwingende von überraschenden Konstellationen ist ihr Privileg. Zagajewski musste es wissen. Denn zeit seines Lebens war er im Gewebe von Sätzen wie in der Melodie von Versen zu Hause.

Sein Essayband „Poesie für Anfänger“, wenige Tage nach seinem Tod in Krakau im März dieses Jahres auf Deutsch erschienen, bringt diese Geschwister nun noch einmal exemplarisch zusammen. Auch wenn von seinen Gedichten einige bleiben werden, darunter das großartige „Nach Lemberg fahren“, die Anrufung der ebenso realen wie imaginären Stadt, in der er 1945 geboren wurde, erscheinen seine Essays haltbarer. Das Tagebuch „Die kleine Ewigkeit der Kunst“ oder die Erinnerungsprosa „Ich schwebe über Krakau“ zeigen, wie Erzählendes und Reflektierendes zu einem Gleichgewicht von höchster sinnlicher Präzision finden.

[Adam Zagajewski: Poesie für Anfänger. Essays. Aus dem Polnischen von Renate Schmidgall. Hanser Verlag, München 2021. 280 Seiten, 24 €.]

Das gelingt auch der „Poesie für Anfänger“, einer Sammlung von 23 Essays, die eine Tour d’horizon durch seine Lektüren und Begegnungen bilden. Die großen Polen werden hier lebendig: Zbigniew Herbert, Wislawa Szymborska und immer wieder Czeslaw Milosz, der ihm in der Personalunion von Dichter, politischem Intellektuellen und Gelehrtem wohl als Modell seines eigenen, von Jahren im französischen und amerikanischen Exil geprägten Lebens imponierte. Daneben würdigt er Konstantinos Kavafis, Giorgos Seferis, Rainer Maria Rilke, Antonio Machado, Tomas Tranströmer oder C.K. Williams: Figuren, die man nicht erst entdecken muss, weil sie die Dichtung des 20. Jahrhunderts geprägt haben. Figuren aber, an deren scharfsinnigen Zauber man das allzu poesiefürchtige Publikum nicht oft genug erinnern kann – und dies nicht in mühseligen Exegesen, sondern in beiläufigen Zitaten.

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Man lernt hier nichts Technisches, nichts über Metrik oder Metaphern, doch viel über das Bedürfnis, der Unordnung der Welt die assoziative Ordnung der Poesie entgegenzusetzen. Zagajewskis Essays porträtieren Dichter und Dichterinnen, die fernab von Wolkenkuckucksheimen einen klaren Blick für die Epochen und Systeme haben, denen sie Tag für Tag ausgesetzt sind. Genau dies schenkt ihnen aber auch das Vertrauen, schreibend die Perspektive und die Dimension zu wechseln. Wenn man „Poesie für Anfänger“ überhaupt als Schnellkurs für Novizen betrachten will, dann durch den Appell, dieses Zutrauen auch als Leser zu haben. Gute Poesie, zeigt Zagajewski mit leichter Hand, ist nicht das verquaste Andere, es ist das Ungesehene vor unser aller Augen.

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