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Eigensinniger Intellektueller aus großbürgerlichem Hause.. Jean-Luc Godard (3. 12. 1930 bis 13. 9. 2022)

© AFP / BORIS HORVAT

Zum Tod von Jean-Luc Godard: Kampf des Auges mit der Sprache

Poesie und Politik im Remix. Der Kinorevolutionär Jean-Luc Godard arbeitete mit den größten französischen Filmstars, pflegte aber sechzig Jahre lang sein Außenseitertum.

Von Gregor Dotzauer

Wie er mit widerspenstigem Haar und der ewigen Zigarre als Schnuller durch seine Filme stolperte. Herrscher über ein Universum der Versatzstücke, Fertigteile und Gedankenmeteoriten, in dem er zugleich als Hofnarr auftrat. Imitierte er Groucho Marx? War er ein Zitat seiner selbst? Oder erschien hier der Geist jener Maschine namens Kino, von der er 1990 anlässlich von „Nouvelle Vague“, einer verwirrend schönen Zitatenorgie mit Alain Delon und Domiziana Giordano, ganz gegen bisherige Gepflogenheiten in Anspruch nahm: „Ich habe diesen Film nicht gemacht.“

Jean-Luc Godard hielt natürlich auch hier alle verschlungenen Fäden in der Hand - obwohl er sämtliche Regeln der Chronologie, Dramaturgie und erzählerischen Hierarchie zum Teufel gejagt hatte. Schon der Titel war ein Zitat. Godard, am 3. Dezember 1930 in Paris geboren, galt neben François Truffaut als Inbegriff jener neuen französischen Welle, die die Rolle der Autoren gegen gesichtslose Handwerker zu profilieren versuchte.

Zusammen mit Jacques Rivette und Eric Rohmer hatte er 1950 die kurzlebige „Gazette du Cinéma“ gegründet, einen Vorläufer der „Cahiers du cinéma“, für die er bis 1959 schrieb. Im Jahr darauf debütierte er mit „A bout de souffle“ (Außer Atem“. Der Pariser Krimi mit Jean-Paul Belmondo und Jean Seberg, der alle Konventionen des Genres ignorierte und ihnen atmosphärisch dennoch huldigte, machte ihn schlagartig berühmt. Die darin verwendete Technik der Jump Cuts fand zahllose Nachahmer.

Mit Brigitte Bardot im Bunde

Danach sah es so aus, als könnte er, der Außenseiter, ins Zentrum der Filmindustrie vorstoßen. Zumindest drehte er mit einigen der größten Stars. 1963 entstand mit Brigitte Bardot und Michel Piccoli „Le mépris“ (Die Verachtung) und 1965 mit seiner damaligen Frau Anna Karina „Pierrot le fou“ (Elf Uhr nachts).

Stars der sechziger Jahre, Brigitte Bardot und Michel Piccoli in Godards Film „Die Verachtung“ (1963).
Stars der sechziger Jahre, Brigitte Bardot und Michel Piccoli in Godards Film „Die Verachtung“ (1963).

© imago images/Everett Collection / Foto: Imago

Das hochgradig Selbstreflexive dieser Filme irritierte aber nicht nur das breite Publikum. Dass er ihren Wust aus mythologischen Anspielungen und kinematografischen Verweisen bei aller Liebe zur emotionalen Wucht des Kinos als das Eigentliche seiner Arbeit erkannte, trieb ihn mehr und mehr an den Rand, und dass er sich im Zuge der Studentenrevolte politisierte, besorgte den Rest.

Was hatte er 1968 nicht alles in „Le Gai Savoir“ (Die Fröhliche Wissenschaft) zusammengestückelt: Nietzsche und Descartes, Stalin und den „Playboy“, Vietnam und Fidel Castros Kuba, Hegel und Bob Dylan, Freud und Rousseau, die Befreiung des Kongo und die chinesische Kulturrevolution. Alles, was ihn umtrieb und was zu jener Zeit im Schwange war.

Suche nach dem Kollektiv

Da war es folgerichtig, dass er sich in seinem Schöpfertum bewusst deklassierte und sich dem militanten Filmerkollektiv Dziga Vertov anschloss – benannt nach dem sowjetischen Regisseur, der 1929 mit „Der Mann mit der Kamera“, einer Dokumentation über Kiew, Charkiw und Odessa Filmgeschichte schrieb.

Dieser dezidiert klassenkämpferische Godard, auf den er etwa mit „Film Socialisme“ (2010) später noch gelegentlich Bezug nahm, wirkt heute wie Politikfolklore. Doch die Methode Godard zeigt sich umso deutlicher. Er wusste: Wir sind aufgefordert zur Einzigartigkeit, aber verurteilt zur Wiederholung. Worum wir uns auch bemühen: Es steht schon bei Shakespeare. Beethoven hat es komponiert. Delacroix hat es gemalt.

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Und so schickte sich Godard an, es auf seine Weise noch einmal zu montieren und zu collagieren – nicht zuletzt in der Hoffnung, dass am anderen Ende des Zitatetunnels etwas Neues beginnt.

Wenn man sich seinen fast vier Jahrzehnte nach „Le Gai Savoir“ entstandenen Filmessay „Notre musique“ ansieht, spürt man beim Versuch, Poesie und Politik, die Schrecken des Krieges und die Schönheit der Schöpfung miteinander zu vereinen, noch die gleiche Intensität. Hölle, Fegefeuer und Paradies in drei dantesken Akten aus Sarajewo und Mostar, vermengt mit dem Israel-Palästina-Konflikt, gespiegelt im bosnischen Bürgerkrieg: Das war sein intellektuelles Kamikazetum.

Zertrümmern von Zusammenhängen

Spielfilmorientiertes Frühwerk hin, essayistisches Spätwerk her: Godard drehte Filme, wie andere Gedichte schreiben: auch im ständigen Abbrechen und Zertrümmern von Zusammenhängen formbewusst und auf ein Ganzes aus. Ja, man muss Godards Filme lesen – schon weil er Schluss machte mit der „Tyrannei des Visuellen", die Alexandre Astruc in einem Aufsatz über „Die Geburt einer neuen Avantgarde“ beklagte.

Deshalb muss man seine Filme auch hören. Das Bild ordnet sich wie in „Notre musique“ dem Ton zuweilen unter – auch wenn er in seiner Preisrede zum Frankfurter Adorno-Preis 1995 erklärte: „Im großen Kampf zwischen den Augen und der Sprache hat der Blick die größte analytische Kraft.“ Ein paar Takte Sibelius, ein Fetzen Meredith Monk, ein Hauch Arvo Pärt, ein durchs Prisma von György Kurtág gesehener Bach, dazu Weisheiten wie die des palästinensischen Dichters Mahmoud Darwisch: „In der Niederlage steckt mehr Inspiration und menschlicher Reichtum als im Sieg“.

Im Stop-and-go der Elemente setzte hier ein hellwacher Zeitgenosse das globale Gewitter fiktionaler und dokumentarischer Bilder von Krieg, Hass und Gewalt neu zusammen. Und es braucht ein zweites oder drittes Sehen, bis sich die Konstruktionsregeln herausschälen.

Masche und Methode

Selbst mit großer Konzentration wurde es jedoch schwer, Godards Filme auseinander zu halten. Zwischen „Allemagne année 90 neuf zéro“ (Deutschland neu(n) null), in dem Eddie Constantine durch Berlin und das Wendedeutschland irrt, und dem zwei Jahre später entstandenen „Hélas pour moi!“ (Weh mir), in dem Gérard Depardieu einen zeitgenössischen Amphitryon gibt, liegen trotz grundverschiedener Stoffe nur Nuancen.

Seine Methode kam einer Masche oft gefährlich nahe. Es steckt von daher auch etwas Gleichmacherisches in Godards wilden Überlagerungen von Bild, Schrift und Ton, bis hin zu seinem letzten großen Essayfilm „Bildbuch“ im Jahr 2018.

Krieg den Städten. Anna Karina in „Le petit soldat“ von Godard.
Krieg den Städten. Anna Karina in „Le petit soldat“ von Godard.

© imago images / United Archives

Orientierung in seinem kinematografischen Labyrinth bieten vor allem die Schauspielerinnen, mit denen er arbeitete. Sie geben, um von der produktiven Arbeitsliaison mit seiner letzten Partnerin Anne-Marie Miéville an dieser Stelle nicht zu reden, jedem Film ein besonderes Gepräge. Anna Karina schenkte „Vivre sa vie“ (Die Geschichte der Nana S.) ihre edle Traurigkeit, Juliet Berto ihr Geheimnis nicht nur „Le Gai Savor“, Maruschka Detmers ihr Temperament „Prénom Carmen“ (Vorname Carmen) und Myriem Roussel ihre Unschuld „Je vous salue, Marie“ (Maria und Joseph).

Auch „Sauve qui peut (la vie)“ würde vielleicht im Bilderstrom untergehen, wenn er nicht voller starker Frauen gewesen wäre. Zwanzig Jahre nach „Außer Atem“ erklärte Godard, sei „Rette sich wer kann (das Leben)“ zu seinem „zweiten ersten Film“ geworden. Die Rückkehr auf die große Leinwand im 35-Millimeter-Glanz war allerdings reinem Trotz geschuldet. Tatsächlich hatte sich Godards Team, vor die Wahl des Formats gestellt, wie Kameramann William Lubtchansky berichtet, für Video entschieden. Dagegen musste er rebellieren.

Abkehr von der Videokunst

Der Abschied von dem Medium, das ihm in den Jahren zuvor als Waffe im politischen Kampf gedient hatte, knüpft in einer glücklichen Mischung von Diskursivem und Erzählerischem an seine besten Arbeiten aus den 1960er Jahren an. Im aufgekratzten Ton einer Farce entfaltet sich eine Idee von Kino, die wie oft bei Godard schon die Sache selbst ist.

Es geht um Liebe, Arbeit, Prostitution, Abhängigkeit und Gewalt. Da ist die stille Insistenz von Nathalie Baye, die in abgehackten Slow-Motion-Bildern über Schweizer Bergstraßen radelt; die störrische Kühle von Isabelle Huppert, die eine selbstbewusste Prostituierte spielt. Und die strenge Stimme einer Schriftstellerin, die trotz mehrfacher Aufforderung, vor die Kamera zu treten, unsichtbar bleibt: Marguerite Duras.

Am Dienstag ist das Leben dieses bis ins hohe Alter unermüdlichen Kraftwerks der Bilder und Töne in seinem Schweizer Wohnort Rolle mit 91 Jahren zu Ende gegangen.

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