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Neues Album von Florence + the Machine: „Everybody Scream“ ist ein düsterer Aufruf zum Hexentanz
Sängerin Florence Welch veröffentlicht ein finsteres sechstes Album – und verarbeitet darin unter anderem eine lebensbedrohliche Fehlgeburt.
Stand:
Juni 2022, Flughafen Tempelhof: das erste große Berliner Pop-Festival seit Beginn der Corona-Pandemie. Die Menschen vor den Bühnen tanzen und jubeln dicht beieinander, niemand trägt an diesem warmen Tag eine Maske. Das Glück ist perfekt als am Abend der Hauptact Florence + the Machine spielt und mit seinem bombastischen Überwältigungssound alle finsteren Erinnerungen kurz vertreibt.
Sängerin Florence Welch trägt ein weißes Kleid, keine Schuhe, kein Make-up und hat eine unglaubliche Bühnenpräsenz. Die Fans machen alles, was sie sagt, wozu auch intensives Springen gehört – angeblich löst das sogar ein kleines Erdbeben aus, was sich dann aber eher als Medienerfindung entpuppte.
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Man konnte es leicht glauben, denn Florence Welch war eine Naturgewalt an diesem Abend. Und wenn sie nun knapp dreieinhalb Jahre später ihr sechstes Album veröffentlicht, schwingt diese immense Energie wieder mit. Sie ist sogar Thema des programmatischen Titelsongs „Everybody Scream“, der die Platte eröffnet und von dem Gefühl handelt auf der Bühne zu stehen: „Here, I don’t have to be quiet/ Here, I don’t have to be kind/ Extraordinary and normal all at the same time“, singt die 39-jährige Britin im Refrain dieses, von einer heftig stampfenden Rhythmusgruppe vorangetriebenen, Songs, der seinem Namen in Sachen Schreien alle Ehre macht.
Die Reflexionen über die eigene Kunstform finden sich seit Florence Welchs Debütalbum aus dem Jahr 2009 immer wieder in ihrem Werk. Das führt sie nun mit den neuen Stücken „Music By Men“ sowie „One Of The Greats“ fort, die beide eine feministische Perspektive einnehmen, hat die Sängerin doch seit jeher mit latent misogyner Kritik zu kämpfen.
Begleitet zunächst nur von einer rau-verzerrten E-Gitarre, ähnlich wie bei PJ Harvey in ihrer Anfangszeit, steigert sich Welch während der in einem Take aufgenommenen Single „One Of The Greats“ in eine Wuttirade hinein. Hart feuert sie gegen ihre männlichen Kollegen, die langweilige Musik machten, nur weil sie es eben könnten, während sie selbst als „too feminin to function“ gelte. Da erklärt sie sich einfach selbst zu einer „der ganz Großen“, auf die der Songtitel anspielt: „I’ll be up there with the men and the ten other women/ In the hundred greatest records of all time“.
Ob dieses Album Top-100-würdig ist, wird die Zeit zeigen, zu den wichtigsten Musikern und Musikerinnen ihrer Generation gehört Florence Welch auf jeden Fall. Ihr stets auf die wuchtige, dramatische Geste zielender Alternative Rock kommt nicht nur in Europa gut an, wo eine junge Band wie The Last Dinner Party deutlich von ihr beeinflusst ist, sondern auch in den USA, wo sie mit Taylor Swift und Billie Eilish befreundet ist.
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Auf „Everybody Scream“ packt Florence Welch noch mehr Düsternis in ihren Markenzeichen-Sound, lässt mythische Elemente einfließen, spielt mit Mittelalterbezügen. Sie selbst nennt das Doom Folk. Es ist kein Zufall, dass die Platte, an der unter anderem Mitski, Mark Bowen von Idles und Aaron Dessner von The National mitwirkten, an Halloween erscheint. So lädt die Sängerin zusammen mit einem weiblichen Chor zum „Witch Dance“, der mit einer spannungsgeladenen wogenden Dramaturgie in den Bann zieht und entfacht im Finale von „Sympathy Magic“ einen wild lodernden Synthie-Scheiterhaufen.
Zum Aufatmen gibt es anschließend zwei folkige Midtempo-Stücke, doch es dominiert der Dramamodus. Was daran liegt, dass Welch, die früher schon persönliche Themen wie Alkoholsucht und Essstörungen in ihre Songs einbrachte, diesmal die Erfahrung einer lebensbedrohlichen Situation nach einer Eileiterschwangerschaft verarbeitet. Innere Blutungen in Folge der Fehlgeburt hätten sie fast umgebracht.
Körperlicher, aber auch seelischer Schmerz sind sehr präsent in den zwölf Stücken, die jedoch mit einem Hoffnungsschimmer enden: „And Love“ ist eine zarte Klavier-Harfen-Mediation, die um die Zeile „Peace is coming“ kreist. Es klingt fast wie ein Gebet – der Hexentanz scheint gewirkt zu haben.
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