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Glanzstück der Region. Das Centre Pompidou in Metz ist ein Beispiel für erfolgreiche Regionalisierung in Frankreich.

©  Rolf Brockschmidt

Pariser Museen: Potenzial in der Provinz

Pariser Museen bilden Ableger in anderen Städten – und verzeichnen enormes Besucherinteresse.

Seit unvordenklichen Zeiten streitet das politische Frankreich über die Dezentralisierung. Seit der Jahrhundertwende 2000 gibt es zumindest Schritte in diese Richtung. Paris, die Kapitale eines durch und durch zentralisierten Staates, muss in jedem Fall abgeben, und das fällt der classe politique stets und überall schwer.

Erstaunlicherweise funktioniert es aber im Bereich der Museen. Selbstbewusste Provinzhauptstädte wie Lille im Norden und Toulouse im Südwesten kehren längst ihre eigenen Schätze hervor, renovieren ihre Stadtmuseen und konkurrieren um große Ausstellungen. Doch auch Paris gibt ab. Und zwar ausgerechnet bei zwei der besucherstärksten Einrichtungen, dem Louvre und seinem zeitgenössischen Gegenstück, dem Centre Pompidou. Und schließlich ist sogar ein komplettes Museum aus Paris abgewandert und hat einen neuen, attraktiven Standort bezogen.

Den Anfang machte das Centre Pompidou, die große „Kulturmaschine“ im Zentrum von Paris. Allmählich reifte der Gedanke eines Ablegers in der Provinz. Den Zuschlag erhielt die Stadt Metz und mit ihr die Region Elsass-Lothringen, die denn auch für die 70 Millionen Euro Baukosten der Dependance aufkam, ebenso wie für 10 Millionen Euro jährlichem Betriebshaushalt. Den Architekturwettbewerb gewann der Japaner Shigeru Ban, der seit seinem legendären Japan-Pavillon bei der Expo Hannover 2000, gefertigt aus Papprollen, als einer der Vorreiter einer eher mobilen, temporären Architektur gilt, passend zur Flüchtigkeit des Internet-Zeitalters.

Louvre-Ableger wurde Ende 2012 in Lens eröffnet

In Metz entwarf er gemeinsam mit seinen französischen Kontaktarchitekten Jean de Gastines und Philip Gumuchdjian eine Art Zeitstruktur, ein weißes Teflondach in 37 Meter Höhe, auf vier sich wie Bäume verzweigenden Holzstützen ruhend. Darunter der eigentliche Museumsbau, der rückwärtig von einem massiven Verwaltungstrakt gegen die Stadtbrache abgeschirmt wird, auf der, jenseits des wilhelminischen Hauptbahnhofs, allmählich ein neuer Stadtteil heranwächst. Vor allem die hervorragenden Sonderausstellungen machen bislang den Ruf des Centre Pompidou Metz aus.

Ähnlich verhält es sich im nordfranzösischen Kohlenrevier von Lens unweit der strahlenden „Lille Métropole“. Lens ist seit Jahrzehnten im Abstieg. Und doch erhielt gerade diese arg gebeutelte Industriestadt den Zuschlag für den Louvre-Ableger, der seit der Eröffnung Ende 2012 als „Louvre Lens“ leicht von den Lippen geht. Auch hier gingen japanische Architekten siegreich aus dem Wettbewerb hervor: das Büro Sanaa (Kazuyo Sejima und Ryue Nishizawa), das unter anderem für das New Museum in New York verantwortlich zeichnet.

Sanaa ließ für rund 150 Millionen Euro aus Töpfen der Region, der Kommune und notabene der EU einen flachen Riegel über den ausgekohlten und wenig tragfähigen Boden hinstrecken, der einen Sammlungs- und einen Ausstellungsteil beiderseits des Foyers umfasst. Der Louvre gab – bislang zumindest – hochkarätige Werke für jeweils ein Jahr in den Norden, und so verwundert nicht, dass die Prognose von immerhin 700 000 Jahresbesuchern sofort um die Hälfte übertroffen wurde und wird.

Das Mucem ist das erste Nationalmuseum außerhalb von Paris

Mit dem Musée des Civilisations de l’Europe et de la Méditerranée (Mucem) schließlich erhielt Marseille zu seinem Kulturhauptstadtjahr 2013 ein gänzlich eigenständiges Museum, das erste Nationalmuseum außerhalb von Paris. 190 Millionen Euro kostete der Würfelbau des französischen Architekten Rudy Ricciotti am Hafen, der die Sammlung des 1937 gegründeten Museums für Volkskunde in Paris komplett aufnimmt. Das Pariser Stammhaus war gewissermaßen aus der Zeit gefallen und gegenüber den zugkräftigen Häusern, etwa dem Musée du Quai Branly, hoffnungslos ins Hintertreffen geraten. In Marseille, diesem Schmelztiegel der Völker und Kulturen, ist die Sammlung dank kluger Themenausstellungen zu neuer Wirkung gelangt – und hat der Stadt Marseille mit dem völlig neu geschaffenen Areal an der Spitze des alten Hafens ein neues Ziel, einen neuen urbanen Akzent beschert.

Drei Beispiele für gelungene Dezentralisierung, die zudem das hartnäckige Vorurteil glänzend widerlegen, in der Provinz könne man mit Kultur keinen Hund hinter dem Ofen hervorlocken. Das Gegenteil trifft zu. Das Potenzial der französischen Provinz mit all ihrer Vielfalt ist bei Weitem nicht ausgereizt.

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