
© RT/Tsp
Putins Propagandakanal RT: Verbote beenden keine Kriege
Russia Today und sein deutscher Ableger RT.DE verbreiten eine verdrehte Weltsicht. Doch rechtfertigt dies ein dauerhaftes Verbot in Europa?
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Die Nachrichten von Russia Today haben etwas von verkehrter Welt, egal ob nun in der internationalen Fassung von RT oder vom deutschen Ableger RT.DE. In wenigen Tagen jährt sich der kriegerische Angriff Russlands auf die Ukraine, doch beim roten Propagandakanal hat sich seither wenig verändert. Einmal davon abgesehen, dass das deutschsprachige Angebot nun ausschließlich aus Moskau gesendet beziehungsweise gestreamt wird.
Noch bemerkenswerter ist freilich, dass RT.DE überhaupt noch arbeitet – trotz Verbreitungsverbot in der Europäischen Union. Ein Verbot indes, das zwar nicht komplett wirkungslos ist, aber gleichwohl nicht verhindern kann, dass die Stimme Moskaus weiterhin all jene erreicht, die darauf nicht verzichten wollen.
Denn an Schlupflöchern mangelt es nicht, über die RT und RT.DE ihre Zuschauer erreichen. Geo-Sperren lassen sich mittels VPN-Tunneln, Tor-Browsern und Spiegelseiten umgehen. Ähnliche Hilfsmittel empfiehlt übrigens auch die Deutsche Welle für Länder, die die freie Meinungsäußerung durch Verbote einschränken. In dieser Frage ist das Internet zutiefst demokratisch.
Der Aufwand ist für die Nutzer allerdings hoch und die Qualität der Streams lässt zu wünschen übrig. Immer wieder bricht bei RT.DE die Übertragung für mehrere Sekunden ab. Anders bei den international News von Russia Today. Der Livestream wird weiterhin ruckelfrei übertragen.
„Die russische Sichtweise bekannt machen“
RT selbst sieht sich dabei keineswegs als Propaganda-Waffe im Ukraine-Krieg Russlands, sondern als „alternative Perspektive auf wichtige globale Ereignisse“, die dem internationalen Publikum die russische Sichtweise bekannt macht.
Diese unterscheidet sich diametral von der westlichen Perspektive, wie ein Blick in die vor allem vormittags gestreamten Live-Nachrichtensendungen zeigt.
Während zum Beispiel der Tagesspiegel am Dienstag berichtet, dass Kiew den tödlichsten Tag für russische Truppen seit Kriegsbeginn meldet (1030 getötete russische Soldaten), heißt es in der Top-Nachricht von RT, dass im vergangenen Monat so viele ukrainische Soldaten wie in keinem Monat davor ihr Leben verloren haben (6500 militärische Opfer).
Aus der „Volksrepublik Donezk“ berichtet ein mit Schutzweste und Helm ausgerüsteter RT-Reporter davon, wie sich Freiwillige an schweren Waffen ausbilden lassen. Sie wollen die Region vor ukrainischen Truppen schützen, die auch vor Angriffen auf zivile Ziele nicht zurückschrecken, behauptet der Feld-Reporter.
In einem Bericht aus der Erdbebenregion von Türkei und Syrien heißt es, dass russische Hilfskräfte 40 Verschüttete retten konnten. Die Hilfsaktionen anderer Länder bleiben unerwähnt. Aus einem Interview mit dem indischen Energieminister erfahren die RT-Zuschauer, dass Indien Russland Öl in unbeschränkter Höhe abkaufen würde.
Die State-of-the-Union-Rede des US-Präsidenten ist ebenfalls Thema. Joe Biden kommt nur kurz zu Wort, stattdessen wirft ihm ein RT-Kommentator vor, die galoppierende Inflation durch sein aggressives Verhalten gegenüber Russland erst verursacht zu haben.
Warum braucht es das Verbot von RT?
Kurzum: Schenkt man RT und RT.DE Glauben, läuft für Putins Russland alles nach Plan. Umso mehr stellt sich die Frage, ob es ein dauerhaftes Verbot von Russia Today in Europa braucht? Ist es die Sorge, dass Putins Propaganda im Westen verfängt? Oder warum sonst wird die Informationsfreiheit derart drastisch eingeschränkt?
„Es gibt unterschiedliche Methoden, im Infokrieg von Putin hart durchzugreifen – ein Verbot von RT Deutschland schien seinerzeit das Mittel der Wahl. Nun stellt sich jedoch die Frage, ob das Kind mit dem Bade ausgeschüttet wurde, da sich die deutsche Bevölkerung kein Bild mehr davon machen kann, wie Putin die Medien als perfides Instrument für seine Propaganda einsetzt und die Bevölkerung manipuliert“, meint so auch der Hamburger Medienwissenschaftler Stephan Weichert.
Warnung vor dem langfristigen Risiko
„Auch wenn die Welt in einen Lügenkrieg von russischer Seite hineingezogen wird, muss bei sämtlichen EU-Verbotsverfahren von Sendern oder Einschränkungen von Sendelizenzen eine sorgfältige Prüfung im Sinne der Medienfreiheit erfolgen“, sagt Weichert dem Tagesspiegel. „Auch wenn das Verfahren aus Sicht der EU-Behörden damals eindeutig war, ist das Verbot womöglich nicht zielführend gewesen. Das langfristige Risiko solcher Verbote ist, dass man sich damit möglicherweise auf dasselbe Niveau begibt wie diktatorische Regime, die Medieninhalte willkürlich einschränken.“
Zum Hintergrund: Die Europäische Union hatte auf medienpolitischer Ebene im Februar umgehend auf die russische Aggression reagiert und bereits kurz nach Kriegsbeginn die Verbreitung von RT – vormals Russia Today – und all seiner Angebote untersagt, egal ob als TV-Sendung, Internet-Stream oder in Form von Apps.
In Deutschland war dies nicht einmal nötig. Die zuständige Medienanstalt Berlin-Brandenburg (MABB) hatte das Verbot des deutschsprachigen RT-Ablegers bereits am 1. Februar und somit drei Wochen vor Kriegsbeginn ausgesprochen, weil RT.DE nur eine serbische Lizenz besaß, die von der MABB nicht anerkannt wurde. Juristische Beschwerden dagegen blieben erfolglos.
Weichert ist jedenfalls überzeugt: „Eine demokratische Gesellschaft muss – in gewissem Maße – Propaganda, Hass und Hetze in den Medien aushalten können, solange dies in gesetzlich zumutbaren Bahnen passiert.“ Der Medienwissenschaftler begründet dies mit der Rede- und Meinungsfreiheit, die das wichtigste Gut unserer Demokratie sei, auch wenn sie von unterschiedlichen Akteuren zu Propagandazwecken missbraucht werde. „Medienverbote und Sanktionen von Medien müssen daher stets sorgfältig auf ihren negativen Auswirkungen hin geprüft werden, dazu zählen nicht nur kurzfristige Effekte, sondern auch die langfristigen.“
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