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Szenenfoto aus Hoo Fan Chons Film „I Enjoy Being a Girl“.

© Courtesy of the Artist

Queere Kunst aus Südostasien im Schwulen Museum: Junge Vögel bringen Licht ins Dunkel

Glöckchen, Masken und ein Riesenphallus: Für den globalen Norden ist Queerness in Südostasien eine Blackbox. Die Ausstellung „Young Birds from Strange Mountains“ im Schwulen Museum in Berlin schließt Wissenslücken.

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Ein Riesenphallus ragt im Schwulen Museum in Berlin empor, komplett mit zwei Testikeln im Hockerformat davor. Die thailändische Künstlerin und Designerin Eda Phanlert Sriprom hat das mit Polyester gefüllte Geschlecht aus rot-violetten buddhistischen Mönchskutten zusammengenäht.

Die trans Frau verbindet in der Skulptur Sexualität mit Religion, was weniger provokativ gemeint ist, als es zunächst wirkt. „Ich halte den Buddhismus für eine wirklich universelle Kunst“, hat Phanlert Sriprom in einem Interview erklärt.

Queere Kunstschaffende aus Südostasien und seiner Diaspora, darunter vor allem Kreative aus Thailand, Vietnam, Indonesien, Malaysia, den Philippinen und Kambodscha, sind mit Werken in der Schau „Young Birds from Strange Mountains“ vertreten.

Der Titel ist ursprünglich eine Gedichtüberschrift. Der vietnamesische Dichter Ngô Xuân Diệu (1916–1985) konnte seine Homosexualität nicht offen leben und ersann einen gefiederten Stellvertreter. Der junge Vogel weiß nicht, warum er singt, „seine wogenden Melodien“ lassen weder die Früchte reifen noch die Blumen erblühen. Der Gesang „bringt keine Ernte“ und doch singt das Tier ohne Unterlass.

Queere Traditionen

Die Zeilen lesen sich wie eine heimliche Ode an die Queerness ebenso wie ans „interesselose Wohlgefallen“ (Kant) an der Kunst. Und so erzeugt das Gedicht einen überzeitlichen Resonanzraum, der queere Kulturschaffende über zeitliche und räumliche Grenzen hinweg verbindet. „Wissen der Vorfahren“ und „Spirituelle Wege“ bilden denn auch zwei Kapitel der Ausstellung, die außerdem mit Überschriften wie „Verkörperte Versprechen“ und „Tropische Technologien“ gegliedert ist.

Queerness in Südostasien – für den globalen Norden eine Blackbox. Da bringen die „Young Birds“ etwas Licht ins Dunkel – über Nachrichten wie die hinaus, dass Thailand ab Januar die „Ehe für alle“ erlaubt. Denn wie steht es östlich von Indien und südlich von China mit queeren Traditionen?

„Bongkar Pasang“ ist eine Soft-Skulptur der aus Yogyakarta stammenden Künstlerin Tamarra. Ein aus rotem Bast geflochtener und mit einer Holzmaske und Glöckchen verzierter Umhang, der auf Transgender-Schamanen in der Bugis-Kultur in Südsulawesi anspielt, denen ihre Götter die Macht verliehen haben sollen, den König zu beraten. Die Volksgruppe der Bugis kannte fünf soziale Geschlechter, darunter die männliche und weibliche Energien verkörpernden „Bissu“, die mit den Göttern sprachen und als Schamanen verehrt wurden. In fotografischen Selbstporträts verkörpert Tamarra, verschieden kostümiert, Figuren der Bissu-Gemeinschaft.

Fotografische Selbstporträt aus der „Uri Uri Ludruk Serie“ von der aus Yogyakarta stammenden Künstlerin Tamarra.

© Courtesy of the Artist

Das Musikvideo „Love Bang!“ in einer abgedunkelten Kabine wirft einen erst einmal in die Gegenwart. In wechselnden Kostümen singen drei junge Ladys ein Medley aus Titeln von Fleetwood Mac oder Nancy Sinatra in vietnamesischer Sprache. Eine Performerin schreitet im Revuekostüm die Treppe eines Rohbaus in Phnom Penh herab, ein junger, mit einer Wasserpistole bewaffneter Mann spielt Soldat in einer Dünenlandschaft.

Geschichte und (vietnamesisches) Trauma spielen also doch hinein bei der Videoarbeit der in San Francisco lebenden Künstlerin und Kulturaktivistin Việt Lê, die mittels Popkultur verdrängte persönliche und kollektive Erinnerungen hervorholen will. Zentrale Schlagwörter der Gegenwartskunst sind „Care“ und „Heilung“ – „Love Bang!“ macht keine Ausnahme. Es heißt, dass Verweise auf die vietnamesische Muttergöttin-Religion Đạo Mẫu eingeflossen seien, mit der sich Việt Lê nach eigener Aussage aus queerer Perspektive auseinandergesetzt habe.

Dass es auch bei Oat Montien aus Bangkok um spirituelle Heilung geht, sieht man seiner Installation „American Dream Revisited“ zunächst nicht an. Von der Museumsdecke hängt ein Seil, an das Cowboyklamotten geknüpft sind. Das dazugehörige, in der kalifornischen Mojave-Wüste gedrehte Video zeigt, wie ein Mann einen anderen fesselt. Mit „Death Valley“ sind Montiens Zeilen an seinen verstorbenen Vater überschrieben, der Brief hängt gegenüber dem erotischen Bondage-Video an der Wand. „Ich habe diese Kunst gemacht, um mich von Dir zu verabschieden“, schreibt der Künstler an „Pa“. BDSM als Bewältigungsstrategie.

Jenem Vogel vom seltsamen Berg, den der Dichter Ngô Xuân Diệu singen lässt, schmerzt der Hals. Doch er kann nicht anders, muss „seine Kehle und sein Herz sprengen, um so schön zu singen, wie er nur kann“.

Zu viele ästhetische Reize können überfordern. Die Fähigkeit zum Multitasking ist angesichts der Vielstimmigkeit der „Young Birds“ nicht verkehrt. Und auf eine Soundscape-Installation („I dream of sounds and found us entangled“), die sich hier selbst zur Fahrstuhlmusik degradiert, hätte das asiatische Kuratorenkollektiv verzichten können. Sehr sinnvoll aber das „Strange Mountains Archiv“ im Herzen der Schau, das einige Wissenslücken schließen hilft.

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