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Thea Djordjadze verwendet in ihrem Werk „Space under“ Materialien wie Papiermaché, Metall, Farbe, Leinenstoff und Holz.

© Pablo Enriquez; Thea Djordjadze, VG Bild-Kunst, Bonn, Courtesy MoMA PS1

Thea Djordjadze im Gropiusbau: Raumdeuterin mit eingeschränktem Verzückungspotenzial

Die georgische Bildhauerin Thea Djordjadze überlässt ihren Kunstwerken den Dialog mit dem Publikum. Der Gropiusbau zeigt ihre bisher größte Soloausstellung.

Stand:

Art-Week-Donnerstag, elf Uhr. Die Aufbauarbeiten sind seit rund drei Wochen im Gange. Am Freitagnachmittag wird die Ausstellung eröffnen. Müsste da nicht schon alles stehen, von ein paar Details abgesehen – die eine oder andere Korrektur einer Position etwa? So sieht es nicht aus. Es sieht überhaupt nicht so aus, als würde es bald fertig sein. Aber es scheint auch keine Panik zu herrschen. Hier schraubt einer was an die Wand, da holt jemand etwas aus einer Transportbox. Die Künstlerin, heißt es, arbeite mit den Räumen, und das eben bis zuletzt. Man müsse sich das als ständigen Prozess vorstellen. „All Building as Making“, lautet der Ausstellungstitel.

Einige der Kunstwerke befinden sich also nach der Eröffnung nicht mehr hier, andere sind neu hinzugekommen. Das geht natürlich nur, weil Thea Djordjadze in Berlin lebt und arbeitet: Die 1971 im georgischen Tiflis geborene Künstlerin ging fürs Studium erst nach Amsterdam und später nach Düsseldorf, fühlt sich nun aber schon seit mehr als zehn Jahren in Berlin heimisch.

Die Schau im Gropiusbau ist ihre erste institutionelle Einzelausstellung in ihrer Wahlheimat. Zuletzt war in denselben Räumen die japanische Künstlerin Yayoi Kusama zu sehen, deren bunte Polka Dots auch Menschen ansprechen, gar verzücken, die nicht so oft ins Museum gehen. Eine Blockbuster-Ausstellung nennt man das. Die Kunstwerke von Thea Djordjadze sind aus Aluminium, Stahl, Plexiglas, Holz, Gips, Schaumstoff gefertigt: kalte, spröde, industrielle, „arme“ Materialien, mit reduziertem Farbspektrum und eingeschränktem Verzückungspotenzial.

Thea Djordjadze sei ganz bestimmt ein Artist’s Artist und wohl auch eine Kuratoren-Künstlerin, sagt Kuratorin Julienne Lorz, die während der 5. Berlin Biennale 2008 über eine Installation in der Neuen Nationalgalerie auf sie gestoßen war. Die Faszination hat angehalten.

Alte Arbeiten werden neu rekonfiguriert

Thea Djordjadze gibt keine Interviews, ihre Kunst soll für sich sprechen. Was sie zu sagen hat? Es sind jedenfalls keine lauten Botschaften. Ist es vielleicht ein Flüstern, ein Raunen, das sie aussendet? Etwa durch eine unter die Decke gehängte und über den Köpfen schwebende, annähernd raumlange Konstruktion aus mehreren ineinander geschobenen Metallrohren – wie eine Teleskop-Antenne.

Oder ist es eine Schriftsprache in Gestalt von Runen aus uraltem Holz? Es könnten auch georgische Buchstaben sein. Tatsächlich handelt es sich um Fragmente einer alten, wenn auch nicht uralten Treppe – weiß man es, erkennt man sie sofort. Die Künstlerin hat sie in London aufgetrieben und dort, in einer anderen Konstellation, 2015 bereits ausgestellt. Ihr prozessuales Arbeitsverständnis ist nicht auf die Einrichtung einer einzelnen Ausstellung beschränkt. Sie rekonfiguriert ihre älteren Arbeiten, stellt sie neben die aktuellen, ordnet sie so neu.

„All Building as Making“ also: Alles Bauen – oder das gesamte Gebäude? Ob man „building“ als Verb oder als Substantiv begreifen soll? Man soll bei Thea Djordjadze am besten gar nichts.

Überwältigung unerwünscht: Das Mixed-Media-Objekt "One is so Public and the other so Private".

© Thea Djordjadze, VG Bild-Kunst, Bonn, Courtesy Kunst-Museum-Winterthur

Zwei an der Wand befestigte Holzteile formen zusammen eine abstrakte Skulptur. Bei genauerer Betrachtung sind sie unschwer als Rückenlehnen erkennbar – wie man sie in Berlin etwa noch im Babylon Kino am Rosa-Luxemburg-Platz findet. Es gibt keine Texttafeln, die etwas erklären. Etwa warum da zwei aus je fünf Aluminiumblechen geformte Skulpturen in rund fünf Metern Höhe hängen. Es ist der Schliemann-Saal, der höchste Raum im ganzen Museumsgebäude. Vielleicht hätte man den Blick ohne diese Hängung nie nach oben gerichtet und so die historische Kuppel in ihrer Pracht nicht zur Kenntnis genommen?

Die Künstlerin hat den Ort lange studiert

Thea Djordjadze selbst spricht nicht, aber immerhin erklärt Kuratorin Julienne Lorz, die Künstlerin habe sich für die Vorbereitung der Schau lange in den Ausstellungsräumen aufgehalten. Und wenn sie schon einen Raum bespielt, der nach dem Troja-Ausgräber benannt ist, warum dann nicht besagte Skulpturen dort aufhängen, die mit ihrer retrofuturistischen Anmutung auch als Artefakte in einem Science-Fiction-Film funktionieren würden? Möglicherweise hatte sie aber auch etwas ganz anderes im Sinn und es ist nur wieder die eigene Fantasie, die da mit einem durchgeht. Aber das scheint, wenn man sie richtig versteht, für die Künstlerin völlig in Ordnung zu sein. Sie legt es darauf an.

(Gropius Bau, Niederkirchnerstraße 7, bis 16. Januar 2022, Mi bis Mo 10-19, noch bis Donnerstag 23. September gilt ein ermäßigter Eintrittspreis von 9, ermäßigt 6 Euro)

Djordjadze überlässt nichts dem Zufall und gleichzeitig lässt sie dem Zufall seinen Raum. Zum Beispiel die Farbe des Fußbodens. Bei Kusama waren die MDF-Platten noch grau, jetzt wurden sie schwarz gestrichen. Es ist aber nicht irgendein Schwarz, ihm wurde ein Anteil Blau beigemengt. Sieht man nicht so gut an diesem trüben Septembertag, aber dann eben doch, als einen Moment lang die Sonnenstrahlen durch das große Fenster scheinen. Das lässt sich am Modell nicht vorausplanen.

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Thea Djordjadze aber soll die Lichtverhältnisse über die Jahreszeiten und im Verlauf eines Tages genau studiert haben. Der Raum werde bei ihr zum Akteur, sagt die Kuratorin. Plötzlich ist der Boden voller blauer Rauten und Rechtecke. Die mit den Rechtecken an den Wänden, den Bildern, die es in der Ausstellung auch gibt ... okay, es ist eine Floskel: in Dialog treten.

Die Bilder wiederum justieren mit ihrer ungewohnt niedrigen Hängung unsere Perspektive. Sie reichen von kleinformatigem Karopapier mit bunt ausgemalten Kästchen bis zu einer weißen Leinwand, die der Veredelung durch wenigstens ein paar von Cy Twomblys Kritzeleien zu harren scheint. Mehrere aus Drahtgitter gefertigte Vitrinen lassen an ein belgisches Designer-Duo denken. Der eine oder andere Künstler der Minimal Art oder Arte Povera kommt einem auch noch in den Sinn.

Thea Djordjadze käme es nicht auf die Idee, sich mit einem von ihnen gemein zu machen. Sie sagt ja nichts. Sie lässt ihre Kunst sprechen. Sie taucht nicht einmal auf. Entweder hat sie vorher schon so viel Zeit in den Räumen verbracht, dass der ständige Prozess, alles „building“ und „making“ vor der Eröffnung, ihre Anwesenheit nicht mehr erfordert. Oder sie geht nur dem Journalisten aus dem Weg. Nicht dass der noch auf die Idee kommt, nach einem Interview oder auch nur einem kurzen Kommentar zu fragen.

Jens Müller

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