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Ruhestand? Im Sommer 2017 gab Peymann die Leitung des BE ab.

© Jens Kalaene/dpa/picture-alliance

Replik von Claus Peymann: "Oliver Reese, suchen Sie das Herz des Berliner Ensembles"

Das Berliner Ensemble ist kein "leerer Kühlschrank", sondern ein Schatz. Ein notwendiger Zuruf des ehemaligen Intendanten an seinen Nachfolger.

Seit der Lektüre mehrerer Interviews von Oliver Reese aus der letzten Woche weiß ich meine Arbeit der vergangenen Jahre endlich richtig einzuschätzen. Eine „Bruchbude“ hätte ich hinterlassen, behauptet mein Nachfolger; unsere Devise sei gewesen „Nach uns die Sintflut!“; keine Videoabteilung habe es gegeben, stattdessen überall „Elektroschrott“, den er habe entsorgen müssen, so sei das eben bei einem 80-jährigen Intendanten. Jetzt gebe es einen ganz anderen „Beat“ und eine andere „Lebendigkeit“ mit doppelt so viel Premieren, einer renovierten Kantine und neuen Computern. Ach ja, und: Das BE habe einem „leeren Kühlschrank“ geglichen nach unserem Abschied (Tagesspiegel vom 3. Mai).

Was soll das denn heißen? Leer war der „Kühlschrank“ jedenfalls erst, nachdem Reese ihn ausgeräumt hatte. Nicht nur der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz ist das Geld ausgegangen, sondern auch am Bertolt- Brecht-Platz ist ein massives Defizit entstanden: rund eine Million Euro. Außerdem nimmt das BE zum ersten Mal seit vielen Jahren nicht mehr den Spitzenplatz ein unter den Berliner Theatern in Bezug auf Vorstellungszahl, Besucher und Einnahmen. Wir hatten pro Spielzeit rund vier Millionen Euro Einnahmen, um die 200.000 Besucher und 600 Vorstellungen. Jetzt sind es, gut zwei Monate vor Ende der Saison, laut Reese 2,1 Millionen Euro, 110.000 Besucher und 336 Vorstellungen. Also braucht Reese einen Buhmann, dem er das eigene Unglück in die Schuhe schieben kann.

Was macht man, um mehr Geld in der Kasse zu haben? Man erhöht die Kartenpreise. Genau das habe ich in den letzten 18 Jahren immer wieder gegen massive Angriffe vom Senat abgewehrt. Trotz chronischer Unterfinanzierung des BE kostete die teuerste Karte zu unserer Zeit 35 Euro. Dieser niedrige Eintrittspreis war ein Kampfpreis, wie an Castorfs Volksbühne. Die massive Preiserhöhung von Reese auf 53 Euro pro Karte halte ich für unmoralisch. Durch diese Preiserhöhung werden insbesondere Ost-Berliner Besucher ausgegrenzt, aber gerade diese Besucher aus Ost-Berlin sind die eigentlichen Besitzer ihres BE und ihrer Volksbühne. Studenten müssen in Premieren und Sonderveranstaltungen inzwischen den vollen Preis bezahlen, und die ermäßigten Karten für Rentner wurden gleich ganz abgeschafft.

Seit Jahren überlebt das BE nur dank Einnahmen aus Gastspielen

Reese behauptet, 18 Jahre lang sei „die Belegschaft überproportional auf das Wohlbefinden einer Person hin ausgerichtet“ gewesen. Wer Wohlbefinden im Theater sucht, unterliegt einem Irrtum. Kunst bedeutet immer: Selbstzweifel, Unruhe, Suche. Alle Mitarbeiter am BE sind Künstler und haben viel mehr Identität mit ihrem Theater als mit dem Chef. Reese muss erst noch lernen, was das Geheimnis des BE ist. Titel und Schild an der Tür reichen dafür nicht aus. Ein wichtiger Teil dieses Geheimnisses ist die Identität der Mitarbeiter mit ihrem BE. Vielleicht sollte er einmal mit offenen Ohren durchs Haus gehen: „Früher bin ich ins Theater gegangen, heute gehe ich zum Dienst“, sagt man sich.

Angeblich ging unsere Geschäftsführung im Wirtschaftsplan 2017 „von absolut unrealistischen Gastspieleinnahmen aus“. Die Wahrheit ist: Seit Jahren überlebt das BE nur dank beträchtlicher Einnahmen aus Gastspielen in aller Welt. Es hätte eine Einladung mit Wilsons „Peter Pan“ nach Sydney gegeben, auch an Wilson/Grönemeyers „Faust“ gab es Interesse aus aller Welt. Doch diese Aufführungen wurden, wie viele andere, von Reese verschrottet (obwohl von der Lotto-Stiftung finanziert). Das ist bedenkenlose Vernichtung von Kapital und widerspricht jeglichen Grundlagen der soliden Geschäftsführung.

Zur Behauptung der nicht „funktionstüchtigen“ Probebühnen: Seit Monaten wird in der Alten Probebühne herumgebaut – alles nur wegen eines vergrößerten Notausgangs und eines Fahrstuhls. Auf dieser schönen Probebühne haben Brecht und Berghaus, Zadek und Stein, Tabori und Haußmann, Wilson und viele andere (auch ich) seit Jahrzehnten probiert. Wir haben dort in unserer Direktionszeit 1187 Vorstellungen gespielt – vor 139.162 Zuschauern. Die Probebühne, ein magischer Ort!

Im letzten Jahr gab es eine Million Euro an Rücklagen

Die Neue Probebühne, zu Beginn meiner Direktion 1999 vom Architekten Hans Düttmann gebaut, ist bis heute die schönste Probebühne der Stadt – fällt allerdings als Probebühne aus, weil dort ausschließlich gespielt wird. Warum auch nicht! Aber wer bezahlt die zahllosen Probebühnen, die das BE jetzt in ganz Berlin anmietet? Wer bezahlt den technischen Aufwand, diese Probebühnen einzurichten? Wer bezahlt die Überstunden, die Fahrtkosten? Auch das ein Baustein zur Erklärung von Reeses Defizit.

Reese behauptet, zu Beginn meiner Direktion hätte ein Betrag in siebenstelliger Höhe auf dem BE-Konto gelegen, zu Beginn seiner Direktion „praktisch nichts“. Das ist nicht wahr. Wahr ist, dass zu Beginn meiner Direktion etwa 100.000 DM auf dem BE-Konto waren. Im letzten Jahr gab es eine Million Euro an Rücklagen. Auf Anweisung der Senatskanzlei wurde ein Teil dieser Rücklagen zur Finanzierung einer Art Sozialplan verbraucht, der notwendig war, weil Reese rund 50 Mitarbeiter des künstlerischen Personals rausgeworfen hat (darunter 33 Schauspieler und mehrere soziale Härtefälle).

Selbst Bertolt Brecht ist nicht vor Reese sicher

Reese beklagt sich noch, dass er mir 50.000 Euro habe überweisen und von seinem Vater leihen müssen. Ich musste diesen Betrag damals genauso aufbringen. Der Intendant des BE ist zugleich Gesellschafter der GmbH, die 50 000 Euro sind das Stammkapital. Wenn Reese damit nicht einverstanden gewesen wäre, wäre das BE eine landeseigene GmbH geworden. Ich vermute, der Senat hätte das BE mit Kusshand genommen! Diese Lamentatio Reeses ist absurd. Reese brüstet sich mit 16 Premieren pro Spielzeit – als wäre das Theater eine Fabrik, in der es auf die Produktionszahl ankommt. Warum verschwinden so viele dieser Aufführungen so rasch wieder aus dem Spielplan?

Dann doch lieber weniger Premieren, die über Jahre erfolgreich im Repertoire laufen und die man mit den Schauspielern in Muße und ausreichender Zeit probieren kann. Aber selbst Bertolt Brecht, der Gründer des BE, ist nicht vor Reese sicher. Der schöne Text, der seit 1954 (dem Einzug Brechts ins Theater am Schiffbauerdamm) über dem Kassenhäuschen zu lesen war, ist seit letzten Sommer verschwunden: „Theater spielet ihr in Trümmern hier / Nun spielt in schönem Haus, nicht nur zum Zeitvertreibe. / Aus Euch und uns ersteh ein friedlich WIR / Damit dies Haus und manches andre stehen bleibe!“ Und auch fürs kostbare BE-Archiv war kein Platz mehr, fand Reese. So kümmerten wir uns mit der gebotenen Sorgfalt um den Umzug von unzähligen Regalmetern an Textbüchern, Fotos, Modellbüchern etc. in die Akademie. Dort ist das Archiv nun wenigstens in sicheren Händen.

Das BE ist ein Theater mit ganz besonderem Geist

Die eine Million Euro Defizit, der Rückgang an lukrativen Gastspielen, der Verlust des Spitzenplatzes unter den Berliner Bühnen – all das macht Reese offenbar schwer zu schaffen, und so handelt er nach dem Motto „Angriff ist die beste Verteidigung“.

Ich antworte darauf so offen und direkt, weil das BE 18 Jahre lang nicht nur ein Job, sondern meine Familie und mein Leben war. Auch wenn Reese im Nachhinein unsere Arbeit auf eine so unfaire und unzulässige Art diffamiert, wünsche ich ihm aus Liebe zum BE einen klaren Kopf und eine glückliche Hand, denn er trägt jetzt die Verantwortung für dieses wunderbare Haus: ein Theater mit einem ganz besonderen Geist, auf der Schwelle zwischen Ost und West, an der schwarzen Spree gelegen und natürlich eng verbunden mit der jüngsten Geschichte dieser Stadt und dieses Landes.

Lieber Oliver Reese, suchen Sie das Herz des BE, erkennen und begreifen Sie es. Dann brauchen Sie auch keine Buhmänner mehr. Das BE ist ein Schatz!

Claus Peymann

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