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Kultur: Resonanzen im Raum

"Encounters", Begegnungen also, heißen die öffentlichen Meisterkurse, die der Geiger Isaac Stern seit einigen Jahren in New York, Jerusalem, zuletzt auch in Amsterdam veranstaltet.Aber gerade die jüngste Runde in Köln verdient die Bezeichnung vielleicht am trefflichsten.

"Encounters", Begegnungen also, heißen die öffentlichen Meisterkurse, die der Geiger Isaac Stern seit einigen Jahren in New York, Jerusalem, zuletzt auch in Amsterdam veranstaltet.Aber gerade die jüngste Runde in Köln verdient die Bezeichnung vielleicht am trefflichsten.Wie Freunde, Kollegen, ja, Zuschauer aus aller Welt bestätigen können, bringt Stern auch Menschen zum Klingen.So gelang es ihm vor Jahrzehnten, die Sowjetunion und dann China für westliche Geiger zu erschließen und die New Yorker Carnegie Hall durch Spendenaufrufe für die Nachwelt zu retten.Auch Franz-Xaver Ohnesorg, Intendant der Kölner Philharmonie und demnächst Chef der Carnegie Hall, versteht es, Menschen zum Klingen zu bringen, in diesem Falle Isaac Stern.So bot Ohnesorg den Rahmen, in dem der 78jährige endlich einem deutschen Publikum begegnen konnte, ohne seinem seit der Nazizeit gegebenen Schwur, nie mehr in Deutschland zu musizieren, zu brechen.

Zwei Wochen lang waren die Ergebnisse an der Kölner Musikhochschule sicht- und hörbar: Stern an einem Tisch ganz vorne, umgeben vom Geiger James Buswell, dem Cellisten Joel Krosnick und dem Pianisten Joseph Kalichstein, alle mit ausgebreiteten Partituren, in Tuchfühlung mit sieben Ensembles, umspielt von Schubert, Mendelssohn, Mozart, Brahms - neun Tage lang, fünf Stunden täglich, bis sich Finger und Seelen wundgerieben hatten.Das Abschlußkonzert findet am Donnerstag statt.

Stern, der auch mit den Medien umzugehen versteht, erklärte, er sei nicht gekommen, um zu vergeben und vergessen, aber auch nicht um anzuklagen.Für ein jüdisches Einwandererkind, Jahrgang 1920, das sein Publikum prinzipiell mögen möchte, war das Auftreten in Deutschland zunächst unmöglich, dann widernatürlich.Dennoch seien Jungmusiker Jungmusiker, und Ohnesorg verstehe, sein Produkt an den Mann zu bringen.

Vom neuen Jüdischen Museum in Berlin war Stern tief beeindruckt, von der quälenden Auseinandersetzung um das Holocaust-Mahnmal hingegen deprimiert.Daß er das heutige vom gestrigen Deutschland zu unterscheiden weiß, war klar ersichtlich.So begrüßte er das hospitierende Alban-Berg-Quartett mit selbstverständlicher Kollegialität.Die Umarmung der hereingeschneiten Anne-Sophie Mutter wirkte ebenso natürlich wie zwischen Onkel und Nichte.

Daß die Stern-Stunde dennoch Aufsehen erregte, kam nicht von ungefähr.Die holde Kunst ist seit alters her eine sehr deutsche Angelegenheit.Die allmählich versiegende, russisch-jüdische Hauptquelle der modernen Geigenkunst wird ein weiterer Anreiz gewesen sein, sich dieser Begegnung besonders anzunehmen.Gerade nach dem Tod Yehudi Menuhins wollten viele noch etwas mitkriegen, obwohl Stern demonstrativ die Geige zuhause ließ.Es war jedoch das Angebot, das die Begegnung schließlich bestimmte.Auch wenn es im Vordergrund um Aufstrich und Abstrich, die Pünktchen bei Schubert, die Tempobezeichnungen bei Brahms ging.Vor allem handelte es sich um eine Begegnung von Kultur, Geschichte und Leben, deren Resonanzen schlechthin den Raum erfaßten.Am Anfang stand die Grundüberzeugung deutscher Musikgeschichte, daß Musik nicht nur Musik bedeute, ihre Aufführung einer moralischen Handlung gleichkommt.Dies führt in die Welt des emanzipierten Judentums der Mendelssohns und des großen Joseph Joachim, die den Glauben in die Tat umsetzten, dann zu den die osteuropäischen Juden, die ihn mit Hingabe an ihre amerikanischen und israelischen Enkelkinder weiterreichten, bis zur jetzigen Begegnung in Köln.Wurde nun die Fackel an eine neue Generation, ein neues Jahrhundert weitergereicht? Jedenfalls ging sie in Köln an Israelis aus Rußland, eine Lettin aus London, einen Griechen aus Kazakhstan, eine Amerikanerin aus Massachusetts, diverse Deutsche, Österreicher, Schweizer.Was sie sich von der Begegnung versprachen? "Inspiration", antwortete ein Koreaner aus Wien.Sie habe Heifetz, Milstein, Menuhin verpaßt, stellte eine Engländerin aus Amsterdam fest - diese Begegnung habe sie nicht verpassen wollen.

David Schoenbaum ist amerikanischer

Historiker und arbeitet derzeit an einer "Geschichte der Geige"

DAVID SCHOENBAUM

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