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Schöne Bilder, miese Verhältnisse: Szene aus Ken Loach-Film "Jimmy' Hall"

© Pandora Film

Ken Loachs neuer Film: Revolte mit Grammophon

Tanz’ die Verhältnisse: Ken Loachs Irlanddrama „Jimmy’s Hall“ – womöglich der letzte Spielfilm des britischen Meisterregisseurs.

Womöglich ist es der letzte große Film des britischen Regisseurs Ken Loach. So hat er es jedenfalls angekündigt, noch einmal so ein Kraftakt wie „Jimmy’s Hall“, das kann er sich kaum vorstellen, sagte er während der diesjährigen Berlinale. Die verlieh ihm den Goldenen Ehrenbären, eine Auszeichnung, die in der Regel fürs abgeschlossene Lebenswerk vergeben wird. „Die Arbeitstage sind lang“, so Ken Loach im Tagesspiegel-Interview im Februar, „man braucht viel Energie. Ich weiß nicht, ob ich das noch einmal hinkriege“.

Das klingt einleuchtend, obwohl es etliche Regisseure gab und gibt, die auch im hohen Alter noch drehen: Robert Altman realisierte mit 80, kurz vor seinem Tod, „A Prairie Home Companion“, der jüngste Film des mittlerweile 84-jährigen Clint Eastwood, „Jersey Boys“, läuft gerade in den Kinos, ganz zu schweigen von dem mittlerweile 105-jährigen Portugiesen Manoel de Oliveira, dessen jüngstes Werk in wenigen Wochen auf dem Filmfest Venedig seine Weltpremiere feiern wird. Wer weiß, vielleicht verspürt ja auch Ken Loach wieder Lust auf großes Kino, wenn er sich eine Weile von den Strapazen von „Jimmy’s Hall“ erholt hat.

Allerdings ist es gut möglich, dass sein in Cannes vorgestelltes Historiendrama als einer der letzten großen, analog gedrehten und geschnittenen Spielfilme in die Geschichte des Kinos eingeht. Ken Loach, der auch im digitalen Zeitalter nie eine andere Technik verwendet hat, schwört auf die Arbeit mit den Filmstreifen in der Kamera und am Schneidetisch. Die ist inzwischen schwierig geworden, denn die Infrastruktur dafür verschwindet, wie Loach freimütig zugibt. Noch finden sich Schneidetische, aber sogar in der Filmstadt London gibt es nur noch ein einziges Studio für die analoge Produktion.

Außerdem wird das Material knapp. Bei „Jimmy’s Hall“ fehlte Loach plötzlich eine bestimmte Sorte Klebestreifen, mit dessen Hilfe man Bild- und Tonspur synchronisiert. Ein Hilferuf in einem Branchenblatt brachte ausgerechnet die amerikanische Firma Pixar auf den Plan: Die Vorreiter der digitalen Animationstechnik schickten den britischen Technikdinosauriern ein großes Paket der gewünschten Rollen. Die Produktionsgeschichte von „Jimmy’s Hall“ hat das Zeug zur Mythenbildung.

Wobei der Film selber etwas von einem Vermächtnis hat. Noch einmal präsentiert „Jimmy’s Hall“ die moralischen und politischen Werte des engagierten Sozialisten Loach auf breiter Leinwand und kommt dabei zu seinem einigermaßen versöhnlichen, um nicht zu sagen: altersmilden Ende. Es ist eine irische Geschichte aus den frühen Dreißigern, angesiedelt zehn Jahre nach Loachs Bürgerkriegsdrama „The Wind that Shakes the Barley“ (2006). Nicht die große Politik steht im Zentrum, sondern die Herrschaftsstrukturen auf der Mikroebene – so hat Loach es oft in seinen Filmen gehalten.

Die Figur des Titelhelden Jimmy Gralton basiert auf einer realen Biografie, die Loach und sein Drehbuchautor Paul Laverty mit fiktiven Elementen angereichert haben. Gralton ist eine Art Sozialreformer, einer, der nichts weiter will, als ein bisschen Welt in die weite, leere, grüne Landschaft Irlands zu bringen, dorthin, wo die Großgrundbesitzer noch in den Zwanziger- und Dreißigerjahren die armen Landpächter schikanierten, in schönster Eintracht mit der katholischen Kirche. Gralton war 1922 ins politische Exil in den USA gegangen und kehrte zehn Jahre später wieder zurück. Die Wirtschaftskrise und die Arbeitslosigkeit trieb damals viele Immigranten aus Amerika in ihre Heimatländer zurück.

Den Landschaftsaufnahmen haftet etwas Verklärendes an

Den charismatischen, verschmitzten, leicht angejahrten Jimmy Gralton spielt der außerhalb Großbritanniens wenig bekannte Barry Ward. Ein Mann, der fast ein wenig zu müde wirkt, um sich noch einmal in den politischen Kampf zu stürzen. Aber dann bitten ihn die jungen Leute, die 1932 niedergebrannte PearseConnollyHall wieder aufzubauen, die früher nicht nur als Volksbildungsheim, sondern auch als Tanzclub diente. Und schon mausert sich Jimmy, der nur noch Farmer sein wollte, wieder zum Provokateur. Zunächst erregt er das Missfallen von Pater Sheridan, der zwar eine Schwäche für gutes Essen hat, Tanz und Musik jedoch für Teufelswerk hält und mit entsprechender Rage dagegen angeht. Tatsächlich fühlte sich die Kirche damals allein zuständig für Erziehung und Bildung; ein 1932 mit Bedacht in Dublin veranstalteter Eucharistie-Kongress stärkte ihre Position, die durch wechselnde politische Machtverhältnisse ein wenig ins Wanken geraten war.

Bald bringt Jimmy jedoch auch die Gutsbesitzer gegen sich auf, indem er sich für die armen Pächter engagiert. Als er ein Grammophon aufstellt, der staunenden Dorfjugend seine aus New York mitgebrachten Jazzplatten vorspielt und mit seiner alten Freundin Oonagh (Simone Kirby) Tanzstunden gibt, versucht der Kirchenmann erst recht, die Gemeinde wieder auf Kurs zu bringen, mittels Bestechung, Drohung und verbaler Agitation in seinen Predigten vor der Gemeinde. Und die Kirchgänger ziehen die Köpfe ein. Die Angst wirkt anachronistisch. Aber noch heute sind in Irland Kirche und Staat eng miteinander verstrickt.

Ken Loach prangert diese Verhältnisse mit „Jimmy’s Hall“ an. Am Beispiel des kleinen Volkshelden Gralton zeigt er, dass ein Aufbegehren gegen untragbare Verhältnisse niemals vergeblich ist. Zur gelegentlich etwas idealisierenden Blick gesellt sich visuelle Opulenz: „Jimmy’s Hall“ ist als großes Historiendrama angelegt. Blasser Sonnenschein über den grünen Hügeln wechselt mit warm-gelbem Lampenlicht in der Tanzhalle, Kostüme und Interieurs sind von wunderbarer Schäbigkeit, die Männer haben einprägsam-kantige Gesichter, die Frauen sind noch rosig-hübsch oder schon hübsch verhärmt, die Statisten wettergegerbt. Großartig die Auftritte der Tänzer und der Musiker, die Irish Folk, aber auch zeitgenössischen Jazz spielen – natürlich live, entsprechen Ken Loachs analoger Produktionsweise.

Auch den Landschaftsaufnahmen haftet etwas Verklärendes an, den saftig-grünen Hügeln, Wiesen und Weiden der nordwest-irischen Grafschaft Leitrim. Von hier stammt der reale Jimmy Gralton, hier fand Loach seine Locations. Und der Zuschauer kann sich angesichts der leeren Weite gut vorstellen, wie verloren sich die Dorfjugend damals gefühlt haben mag, wie willkommen jede Abwechslung gewesen muss, ob Malkurs, Lesung oder Tanzabend. Und wie leicht es für Jimmy Gralton möglich war, sich vor der Polizei zu verstecken, zumindest für eine Zeitlang.

Die stumpfen Erdtöne der Interieurs und die sich harmonisch einfügenden Farben der Kostüme mildern die Radikalität der politischen Aussage. Selbst der fundamentalistische Pater scheint nach und nach zu begreifen, dass Jimmy Gralton eigentlich eine integre Persönlichkeit ist. Er hegt Zweifel über die eigene Unnachgiebigkeit – noch eine Idealisierung. Man kann sie dem 78-jährigen Ken Loach kaum verübeln, diesem unermüdlichen Regisseur, der zeitlebens keinen Hehl aus seinen sozialistischen Überzeugungen machte und sie in Geschichten und Bilder umzusetzen versuchte, in große Dramen von kleinen Leuten, in kleine Erzählungen von den großen Auseinandersetzungen des 20. Jahrhunderts. Künftig, sagt Loach, möchte er nur noch kleine Dokumentarfilme drehen. Stoff dafür gibt es genug.

Ab Donnerstag im Babylon Kreuzberg, Bundesplatz-Kino, Central Hackescher Markt, Eva-Lichtspiele, FT am Friedrichshain, Kant Kino, Moviemento, Moviemento, Odeon, Passage. Alle OmU

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