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Roman „Mauerpogo“ über Punks in der DDR: Knallgrün gegen Einheitsgrau
Anfang der Achtziger entflammt in Sonja M. Schultz’ zweitem Roman „Mauerpogo“ eine ostdeutsche Jugendliche für Punkrock. Sie gründet eine Band und landet schon bald auf dem Radar des Regimes.
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Jugendweihe in der Stadthalle. Josefine, genannt Jo, ihre kleine Schwester, ihr großer Bruder und die Mutter sind zu spät dran. Deshalb bekommt die gesamte Festgesellschaft mit, wie sich die 14-Jährige zum Platz neben ihrem besten Freund Frankie zwängt – und alle sehen ihre frisch gefärbten Haare. Sie sind knallgrün: Jo trägt ein Leuchten auf dem Kopf. Es ist ihr erster Punk-Auftritt, noch ohne Musik, dafür aber schon mit abfälligen Kommentaren aus dem Publikum.
Jo macht das nichts aus. Seit sie ein Zeitschriften-Foto von einer Londoner Punkerin gesehen hat und kurz drauf ähnliche Gestalten in einer DDR-Nachrichtensendung auftauchen, ist sie für die Szene entflammt.
Instinktiv fühlt sie sich verbunden mit diesen wild aussehenden jungen Leuten, will dazugehören, will lauter und aufregender leben als es im Jahr 1982 in ihrer ostdeutschen Heimatstadt voller Plattenbauten vorgesehen ist. Dort ist alles grau-braun, bis auf den Fluss, den das Textilkombinat auf dem Hügel je nach produzierter Stofffarbe regelmäßig bunt einfärbt.
Eisenwerda hat die Berliner Autorin Sonja M. Schultz diese fiktive Industriestadt genannt, in der ihr zweiter Roman „Mauerpogo“ spielt. Darin klingen DDR-Ortsnamen wie Eisenhüttenstadt oder Elsterwerda an, ohne dass sich die Topografie genau lokalisieren ließe. Genauso macht es die 1975 geborene und in Schleswig-Holstein aufgewachsene Schriftstellerin mit dem historischen Hintergrund, den sie – unter anderem mit Zeitzeugengesprächen – ausführlich recherchiert hat: Er dient als Basis des Buches, das aber keine wahre Geschichte erzählt.
„Mauerpogo“ funktioniert als Mischung aus Gesellschaftsporträt und Coming-of-Age-Geschichte einer jugendlichen Ich-Erzählerin, deren Tatendrang ansteckend wirkt. Zuallererst auf Kumpel Frankie, der eigentlich ein eher ängstlicher Typ ist. Aber wenn Jo sich auf die Suche nach einem geheimen Untergrund-Club namens Pressluftschuppen macht, ist er dabei – und wirft sich zusammen mit ihr in die Pogo-Menge.
Und natürlich ist Frankie auch dabei, als Jo eine Punk-Band gründet. Dass er kein Instrument spielt, macht nichts – er ist Tänzer und Tausendsassa. Aus FDJ-Abzeichen bastelt er einen schwarz-roten Blitz-Ohrring für die Mitglieder der namenlosen Gruppe, in der Jo die Texte schreibt und singt. Als Gitarrist wird Clemens alias Klemmse engagiert, weil er eine Akustikklampfe besitzt. Jos Vater hilft, sie mit einem Verstärker zu verbinden – Improvisationstalent ist unerlässlich für DDR-Punks.
Blitz und Blechgewitter
Und dann ist da noch Ratte: Sie wohnt allein in einem Abbruchhaus und hat sich aus Metallschrott ein höllisch donnerndes Schlagwerk zusammengebaut. Als Jo das Mädchen mit den schwarz umrandeten Augen und dem Stacheliro zum ersten Mal darauf herumhämmern hört, ist sie schockverliebt. „Unter meinem Mantel flitzt Gänsehaut. Im Blechgewitter trocknet auf einmal mein Mund aus. Sie sieht mich, oder nicht?“ Ja, sie sehen sich und werden bald ein Paar, was Schultz elegant beiläufig erzählt.

© Maurus Knowles
Ihr temporeicher Text hat einen guten Rhythmus, ohne dabei die Schlichtheit eines Punkrock-Songs zu imitieren. Es gibt immer wieder feine Sprachbilder, kleine Schnörkel, aber kein Gramm Fett. Jos Familie wird mit prägnanten Strichen gezeichnet. Ihr älterer Bruder Hanne, der unbedingt Offizier werden will, repräsentiert ihren regimetreuen Widerpart. Der allein in einer Datschensiedlung hausende Vater war einst Marionettenkünstler, wurde nach kritischen Inszenierungen erst hinter die Bühne und schließlich zum Parkfegen beordert.
Zusammengehalten wird das Familiengefüge, zu dem noch Jos Schwester und ihre Marika Rökk verehrende Großmutter gehören, von „Mutsch“, der Mutter. Sie arbeitet hart im Schichtdienst eines Krankenhauses und erzieht ihre drei Kinder allein, seit sie ihren Mann rausgeworfen hat. Das ist stressig, was sich an einem ständig zuckenden Augenlid zeigt.
In der ersten Romanhälfte ist der Ton noch von einer gewissen Leichtigkeit geprägt, es gibt absurd-witzige Episoden, etwa wenn eine Atom-Übung in der Schule mit Jos erster Regelblutung zusammentrifft. Aber ab dem Moment, in dem die Protagonistin stärker ins Visier der Autoritäten gerät, verfinstert sich die Atmosphäre.
Die DDR ging Anfang der Achtziger hart gegen die nicht einmal tausend Personen zählende Punkszene vor. Willkürliche Inhaftierungen, Verhöre und Bespitzelungen waren an der Tagesordnung. Und so bekommt auch Jos Band die Härte der Diktatur zu spüren, nachdem sie in einer Kirche aufgetreten ist. Man singt nicht ungestraft: „Einschusslöcher Keinschusslöcher/ Risse in der Wand/ Kleb das Haus mit Kaugummi / Kleb das ganze Land / 100 Schlote 1000 Schlote/ Bomber Harris komm zurück/ Schau wie unsre Fackel brennt“.
„Mauerpogo“ ist immun dagegen, den Unrechtsstaat zu verklären. Denn die Brutalität, mit der sehr junge Menschen drangsaliert werden, wird darin auf erschütternde Weise anschaulich. Und zugleich setzt er der Widerständigkeit der DDR-Punks ein krachiges Stachel-Denkmal.
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