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Prophet der Gier. Schriftsteller, Regisseur und Produzent David Schalko wurde 1973 in Wien geboren und lebt immer noch dort.

© Ingo Pertramer/KiWi

Roman von David Schalko: So hart wie Diamant

David Schalko ist Spezialist für giftige Fernsehserien. Im Roman „Schwere Knochen“ erzählt er, wie Österreich nach dem Krieg von KZ-Erlebnissen geprägt wurde. Jetzt stellt er das Buch in Berlin vor.

So eine Dreistigkeit. Vier Wörter nur, über die man in fünf Sekunden drüber liest – und schon vollführt das Gehirn eine quietschende Vollbremsung. „Das KZ fehlte ihm“, beschreibt David Schalko die angeschlagene Stimmung seines Helden Ferdinand Krutzler auf Seite 126. Dieser schlichte Satz ist eine Falle, wie sie für Schalko typisch ist. Die Menschen Seiten über Seiten einlullen, ja narkotisieren mit einer gemütlichen, österreichisch gefärbten Sprachmelodie und einem pittoresken Panorama kauziger Gestalten. Und ihnen dann überraschend eine Ungeheuerlichkeit überbraten.

Nach diesem Bauplan funktioniert nicht nur der dolle Roman „Schwere Knochen“, sondern alles, was der verkrachte Lyriker aus Wien anpackt, der mit seinen Gedichten und früheren Erzählungen weit weniger reüssiert hat als mit seinen Fernsehproduktionen. David Schalko, 1973 in Wien geboren, hat mit seiner Firma Superfilm die „Sendung ohne Namen“ und die von Grissemann und Stermann moderierte Late-Night-Show „Willkommen, Österreich“ erfunden. Mit Drehbuch- und Regiearbeiten wie dem Pathologen-Zweiteiler „Aufschneider“ und den Miniserien „Braunschlag“ und „Altes Geld“ hat er sich auch über Österreichs Grenzen hinaus als Spezialist für böses Fernsehen etabliert.

Die eine Groteske zeigt die österreichische Provinz als Spielplatz verlogener Deppen, die – angeführt von Schalkos schmerbäuchigen Stammschauspielern Nicholas Ofczarek und Robert Palfrader – den finanziellen Ruin ihrer Gemeinde mittels eines Ufo-Landeplatzes und einer gefakten Marien-Erscheinung verhindern wollen. Die andere, den Geldadel als dekadenten Haufen von Perversen, dem Udo Kier mit eisblauem Blick als Clanchef vorsteht. Kier gehört genau wie Lars Eidinger, Bela B und Moritz Bleibtreu zur Besetzung von Schalkos jüngstem Streich. Vor zwei Wochen hat er in Wien für ORF und RTL Crime ein Serienremake von Fritz Langs „M – Eine Stadt sucht einen Mörder“ abgedreht. Wobei er die von Verbrechern ausgeführte Menschenjagd auf einen mutmaßlichen Verbrecher ins Wien der Gegenwart verlegt.

Die Trilogie der Gier ist vollendet

Insofern lässt sich „Schwere Knochen“ auch als Vorgeschichte des kriminellen Wiener Milieus von heute lesen. Und natürlich als Sittenbild der Nachkriegsgesellschaft, in der die Gewaltverbrecherclique namens „Erdberger Spedition“ zu Schachfiguren im Spiel der politischen Systeme mutiert.

Mit dem Buch vollendet Schalko seine auch „Braunschlag“ und „Altes Geld“ umfassende „Trilogie der Gier und Korruption“. Zehn Jahre hat er die Geschichte des Verbrechers Ferdinand Krutzler und seiner Bande, die sich teilweise an echten Nachkriegskriminellen orientiert, mit sich herumgetragen, eine Verfilmung des Stoffs letztlich aber als unbezahlbar verworfen. Das schadet nichts: Wenn für einen Autor Roman und Serie zwei Spielarten einer Erzählung sind, dann für David Schalko.

Sein tiefschwarzhumoriger Krimi ist überhaupt keiner, weil beim Krutzlerschen Halsstich, den der elfmal wegen tödlicher Notwehr freigesprochene Verbrecher bevorzugt anwendet, keinerlei Unklarheit über Tathergang und Motiv besteht. Umso bestechender fällt das Psychogramm der ebenfalls im Krutzler steckenden, literarisch bislang kaum beleuchtenden Figur aus – des Kapos.

Nazi-Huber lässt sie nach Dachau deportieren

Am 1. April 1938, dem „Anschluss“ Österreichs an Hitler-Deutschland, sind der Zwei-Meter-Mann Krutzler, der wie ein riesiger Hornkäfer aussieht, und seine Kumpels „der bleiche Wessely“, Sikora „der Zauberer“ und der Fleischerssohn Praschak noch Klein-Ganoven. Doch als der ihnen verhasste „Nazi-Huber“ drei von ihnen als Rache für seinen ausgeräumten Salon nach Dachau deportierten lässt, nimmt ihre bis dato harmlose Karriere einen anderen Weg. „Die drei stiegen schon als Persönlichkeiten in den Zug. Aber als sie zurückkamen, waren sie geschliffene Diamanten. Weniger was den Glanz als was die Härte betraf.“

Die alten, von Krutzler in seiner Zeit als „Kardinal von Mauthausen“ geknüpften Bande zum jüdischen Informanten Grünbaum und dem als politischer Gefangener einsitzenden Kommunisten und Polizisten Podgorsky erweisen sich auch im Wien des Wiederaufbaus als ausgesprochen nützlich. „Genau genommen war das spätere Österreich damals im KZ entstanden.“ Und so wie die Allierten Verwaltung und Wirtschaft mittels alter NS-Kader installieren und lenken, darf sich auch die Erdberger Spedition mit ihrem Segen an Bordellen, Wettbüros und Glücksspielhöllen bereichern. Die Verderbtheit und Heuchelei der „Freundlwirtschaft“ tritt dabei so offen zu Tage, wie die Kontinuität der auf Autoritätshörigkeit, Menschenverachtung und Gier fußenden Vor- und Nachkriegsgesellschaft.

Honzo stammt aus einem indonesischen Tierbordell

Dieser bis in die politischen Verhältnisse des heutigen Österreichs nachwirkende Befund mag jetzt nicht sonderlich überraschend klingen, doch wie David Schalko dieses Gesellschaftspsychogramm in eine saftig-tragische Mörder-Saga verpackt, ist schon sagenhaft.

Lakonische Sätze wie „Besagte Tante Elvira stand ihrer Verwandtschaft bezüglich Herzlosigkeit um nichts nach. Man sagte, sie habe zweiundvierzig Infarkte überlebt, ohne auch nur einen bemerkt zu haben“ oder „Wenn man den Krutzler später nach seiner Kindheit fragte, dann sagte er, er könne sich an keine erinnern“ bersten förmlich vor Witz und Tragik. Mal ganz abgesehen von dem irren Pandämonium an Unterweltfiguren, das auch die aus einem indonesischen Tierbordell stammende Schimpansendame Honzo einschließt, für die ein Arzt mehr als zärtliche Gefühle hegt.

Apropos Zärtlichkeit. „Altes Geld“ hat Schalko eine „Erzählung ohne Empathie“ genannt. Verglichen damit ist „Schwere Knochen“ durchglüht von Wärme. Es herrscht eine ähnlich lebensbejahende Betriebstemperatur wie sie Wolf Haas in seinen Brenner-Romanen pflegt. Oder wie der Krutzler gerne sagt: „Am Ende bleibt ein Haufen Knochen.“

David Schalko: Schwere Knochen. Roman, Kiepenheuer & Witsch, 567 Seiten, 24 €. Berliner Buchpremiere mit David Schalko und Robert Stadlober ist am 9. Mai um 20 Uhr im Pfefferberg Theater

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