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Die jungen Eheleute Florence (Saoirse Ronan) und Edward (Billy Howle) beim Romantikurlaub.

© Prokino

Romanadaption „Am Strand“: Die Leere zwischen den Laken

Die Geschichte einer missglückten Hochzeitsnacht: Dominic Cookes Adaption von Ian McEwans Roman „Am Strand“ erzählt von dem Schmerz der Biederkeit.

Wenn eine chemische Reaktion nicht so schnell eintritt wie erhofft, wenn sie aufgrund der Trägheit der einzelnen Teilchen vielleicht sogar auszubleiben droht, gibt es eine einfache Abhilfe: Man verkleinert das Gefäß, in dem die Reaktion stattfinden soll, um so den äußeren Druck auf die beteiligten Substanzen zu erhöhen.

Vielleicht war es eine ähnliche Überlegung, die Florence (Saoirse Ronan) und Edward (Billy Howle) in Dominic Cookes „Am Strand“ dazu bewegt, ihre Hochzeitsnacht in einem engen Hotelzimmer an der englischen Südküste zu verbringen. Dort gibt es Meerblick und ein von Dienern sorgsam angerichtetes Abendessen, vor allem aber ein massives Doppelbett. Alles zielt hier darauf ab, den körperlichen Vollzug der Ehe einzuleiten und Florence und Edward wissen wohl, dass sie in der Hinsicht auf jeden äußeren Impuls angewiesen sind: Aufgewachsen im muffigen England der Nachkriegszeit, stellt sich sexuelle Intimität für die beiden Jungvermählten als unüberwindliches Hindernis dar.

Wie die Romanvorlage von Ian McEwan folgt Cookes Film der Struktur eines sich wiederholenden, zunehmend verzweifelten Anlaufnehmens. Immer wenn sich in der Nacht körperliche Nähe anzubahnen scheint, blendet „Am Strand“ zurück in die Anfangsphase von Florence’ und Edwards Beziehung. In idyllischen Bildern zeigt der Film ihre erste Begegnung während der Studienzeit, den ersten gemeinsamen Spaziergang durch die pastorale englische Landschaft oder den harmonischen Besuch bei Edwards Familie.

Die Unbeschwertheit war Selbstbetrug

Dabei lässt Saoirse Ronan in Florence’ spröder Art stets eine große Durchsetzungsfähigkeit durchschimmern, während Billy Howle mit seinen fahrigen Bewegungen Edward als ein charmantes Energiebündel spielt, das von einem ungeordneten Ehrgeiz getrieben wird. So ergibt sich das Bild zweier gegensätzlicher Persönlichkeiten, die sich ideal zu ergänzen scheinen. Gefangen in ihrem engen Hotelzimmer, versuchen Florence und Edward deshalb wieder und wieder, aus der Erinnerung an die frühere, scheinbar so selbstverständliche Vertrautheit Kraft zu schöpfen – in der Hoffnung, dass diese ausreicht, um ihre sexuellen Hemmungen zu überwinden.

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„Am Strand“ macht auf schmerzhafte Weise deutlich, dass die Unbeschwertheit von Florence und Edwards erstem Kennenlernen zum Teil ein Selbstbetrug war. Mit ihrer Beziehung setzen sich die beiden zwar über die Standesdünkel der damaligen Zeit hinweg – Florence stammt aus wohlhabendem Haus während Edwards Vater Rektor einer Dorfschule ist – doch führt diese Geste des Widerstands nicht dazu, dass die beiden einander als Subjekte mit eigenem Willen gegenübertreten. Vielmehr flüchten sie sich beständig in die stabilen Formen tradierter romantischer Topoi: ein Ruderbootausflug, gemeinsames Liegen im Schatten eines Baumes, ein Spaziergang am Meer. Man kennt diese Bilder, weiß genau, was in jedem Moment zu tun ist. Sie müssen bei diese Begegnungen folglich nie Verantwortung übernehmen, so kommt es auch nie zu jenen Momenten der Schutzlosigkeit, in denen eine tatsächliche Vertrautheit erst entstehen kann.

Cookes Film entwickelt eine tragische Wucht

Nur einmal bricht sich die Spontanität Bahn, die die beiden ansonsten zwanghaft zu vermeiden suchen. In ihrem Zimmer spielt Florence Edward eine Schallplattenaufnahme der Haffner-Symphonie von Mozart vor. Sie weist ihn auf den „großartigsten Oktavsprung der Musikgeschichte“ hin, den er gleich hören wird, und obwohl er mit klassischer Musik eigentlich nichts anfangen kann, hört Edward aufmerksam zu. Als der angekündigte Moment kommt, wird Edward von dem plötzlichen Wechsel der Musik mit seinem ganzen Körper mitgerissen. Euphorisch springt er auf und umarmt Florence mit einer Heftigkeit, die er sich sonst nie erlaubt.

Wenn „Am Strand“ das Bild einer ungezwungenen körperlichen Vertrautheit bereithält, dann nur in diesen flüchtigen Sekunden. Denn Cookes Film entwickelt seine tragische Wucht gerade daraus, dass er nicht wie ein Außenstehender auf die Notlage seiner Figuren blickt, dass er keine Vision einer unverkrampften Sexualität entwickelt, die er Florence und Edwards ungelenken Umarmungen als Ideal gegenüberstellen könnte. Wenn die beiden etwa in einem Kino voller schmusender Paare sitzen, dann wirkt diese geradezu überwältigende körperliche Intimität im Film genauso gestellt und unnatürlich, wie sie den Figuren erscheinen muss. „Am Strand“ erzählt von dem Schmerz der Biederkeit. Und dieser Schmerz lässt sich nur darstellen, wenn man bereit ist, sich die Biederkeit ein Stück weit zu eigen zu machen.

In 10 Berliner Kinos

Philipp Schwarz

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