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Kultur: Roxys Musik

Die Nazis und die Operette: eine Dresdner Tagung

Als Freunde in den Fünfzigerjahren den völlig verarmten Operettenkomponisten Paul Abraham aus New York nach Deutschland zurückholen wollten, verweigerte die Bundesregierung zunächst das Einreisevisum. Erst als er aus den USA ausgewiesen wurde und 1956 mit dem „Flugzeug der Verdammten“ nach Hamburg kam, durfte er dorthin zurückkehren, wo er vor dem Krieg seine größten Erfolge feierte. An die Kultur der Zwischenkriegszeit wollte hier jedoch niemand mehr erinnert werden. Von „Wiedergutmachung“ keine Spur. Durch die zwölfjährige Beschallung mit „lebensbejahenden“ Operetten, wie sie Joseph Goebbels für die Volksgemeinschaft forderte, hatte sich der Publikumsgeschmack gründlich verändert. Mit den Folgen des nationalsozialistischen Kahlschlags beschäftigten sich nun die Forscher bei der Dresdner Tagung „Operette unterm Hakenkreuz“.

Schon aus theaterpraktischen Gründen konnten die neuen Machthaber ab 1933 nicht einfach alle unerwünschten Operetten auf einmal absetzen. Zwar war ihnen das gesamte Genre suspekt, doch das Publikum verlangte nach der leichten Muse. Man behalf sich, etwa indem bei einigen Lehár-Operetten die jüdischen Librettisten einfach verschwiegen wurden. Auf längere Sicht musste jedoch Ersatz her für Kálmán und Abraham, für Jessel und Benatzky. Also vertonte der Lehár-Epigone Rudolf Kattnigg das führertreue Leben auf dem Flugzeugträger „Der Prinz von Thule“ und komponierte die Probleme der faschistischen Ustascha in Kroatien unter dem Titel „Balkanliebe“. Dieses hochinteressante Kapitel blieb auf der Tagung in der Staatsoperette Dresden jedoch unterbelichtet, weil der Referent Volker Klotz sämtliche in Deutschland zu dieser Zeit entstandenen Werke in Bausch und Bogen verdammte. Für Kongressinitiator Kevin Clarke ist es aber gerade wichtig, ganz genau hinzuschauen: „Die Nazis waren ziemlich unentschlossen, was die Operette betraf.“ So kam noch 1937 beispielsweise Abrahams turbulente Filmoperette „Roxy und ihr Wunderteam“ auch in die deutschen Kinos. In der ungarischen Produktion geht um die sexuellen Verwirrungen einer männlichen Fußballnationalmannschaft, in deren Trainingslager eine Frauenturngruppe auftaucht.

Nach dem Krieg war dann beim Wunder von Bern kein Platz mehr für Roxys Wunderteam – und das wird sich auch bei der Fußball-WM 2006 wiederholen. Statt sich mit Paul Abraham einen Platz im Kulturprogramm zu sichern, setzt die Berliner Staatsoper in der kommenden Saison auf Léhars bewährte „Lustige Witwe“.

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