
© Bucerius Kunst Forum
Kunst aus der Weimarer Republik: Rückkehr zur Stofflichkeit der Dinge
„Welt im Umbruch“: Eine Ausstellung im Hamburger Bucerius Kunst Forum vergleicht neusachliche Malerei und Fotografie der 20er Jahre.
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Die Fernsehserie „Babylon Berlin“ hat neuerlich den Blick auf die bewegten 1920er Jahre geöffnet. In der Ausstellung „Welt im Umbruch“ im Hamburger Bucerius Kunst Forum lässt sich jetzt die Sicht auf die kurze Epoche zwischen den beiden Weltkriegen reizvoll intensivieren.
Die Schau beleuchtet, wie sich damals extreme Gegensätze, Elend und Hoffnung, Dekadenz und Fortschrittsglauben auch in der Kunst mischten und in welcher Weise speziell Malerei und Fotografie diese gesellschaftlichen Befindlichkeiten bildlich registrierten. Die beiden bislang eher getrennt betrachteten Kunstgattungen werden dazu bewusst miteinander konfrontiert. Erstmals sind Gemälde und Druckgrafiken der „Neuen Sachlichkeit“ mit „Fotografien des Neuen Sehens“ aus der Zeit zwischen 1923 bis 1936 in eine direkte Beziehung gesetzt.
Die Gegenüberstellung rückt einen Stil in den Mittelpunkt, der mit realitäts- und alltagsnaher, nüchterner Darstellungsweise zur führenden Kunstrichtung der Weimarer Republik avancierte. Zu sehen sind Werke von Malerlegenden wie Otto Dix, Christian Schad, Conrad Felixmüller und Hannah Höch, dazu die legendären Fotografen László Moholy-Nagy, Albert Renger-Patzsch, August Sander und Germaine Krull. Dabei zeigen Stillleben, Bilder von Architektur, Industrie und Technik bis zur politischen Montage, dass in den 1920er Jahren plötzlich alles wert war gemalt und fotografiert zu werden – Maschinen, Gebäude, ein einzelner Kaktus, Wassergläser, ja selbst ein Putzeimer. Im Zentrum allerdings steht das figurative Interesse am Menschen: Hingucker in der Ausstellung sind die vielen Aktbilder und Selbstbildnisse, allen voran Christian Schads altmeisterlich gemalte, nackte 20er-Jahre-Schöne mit dem schwarzen Bubi-Kopf. Sie gilt als Sinnbild der selbstbewussten „Neuen Frau“, die wenig später auch Karl Hubbuch, Sasha Stone und Germaine Krull in Gemälden und Fotografien darstellten.
Eine zurückgenommene, fast emotionslose Wiedergabe
In der Aktmalerei dieser Zeit scheint die neusachliche Entzauberung des veränderten weiblichen Erscheinungsbildes deutlicher fortgeschritten: Realistische, unterkühlte Darstellung hat die Anmutung von Erotik und Verführungskunst gebrochen. Schads entblößte Geliebte wie auch Hubbuchs als hüllenloser Drilling variierte Ehefrau zeigen frei und selbstbewusst ihre nackten Körper, ohne Koketterie. Als zentrale Motive in der Fotografie fallen die Materialität der Haut und die Form des weiblichen Körpers auf. Das gilt besonders für Germaine Krull, die in ihren Aufnahmen auf kühne Weise die gleichgeschlechtliche Liebe zwischen Frauen thematisierte. Ganz anders die ungeschönten Gesichter vom Notar bis zum Bäcker in August Sanders Fotografien.
Den Bildern gemeinsam ist ihre zurückgenommene, fast emotionslose Wiedergabe. Für beide Sparten war es ein Neubeginn. Denn beide hatten sich zu diesem Zeitpunkt von ihrer Vorphase emanzipiert, die Malerei vom Expressionismus, die Fotografie vom Pictoralismus. Die Rückkehr der zwei Gattungen in den 1920er Jahren zum Gegenstand, zur Stofflichkeit der Dinge und zu höchster Präzision in der Darstellung führt zu einer nah verwandten Ästhetik von Malerei und Fotografie, die erstaunt.
Bis 19.5., Bucerius Kunst Forum, Hamburg
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