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Der russische Dirigent und Intendant Valery Gergiev

© picture alliance / dpa / Andreas Gebert

„Russian Seasons“ in der Philharmonie: Liebe macht sehend

Valery Gergiev dirigiert Tschaikowsky, zum Start der auch politisch intonierten „Russian Seasons“ in der Berliner Philharmonie.

Wenn nichts mehr geht, muss die Kultur ran. Um Harmonie zu spenden zwischen zwei Staaten, die sich in einer Phase „politischer und wirtschaftlicher Dissonanzen“ befinden, wie es Stephan Steinlein, der Chef des Bundespräsidialamts, am Montag bei der Eröffnung der „Russian Seasons“ in der Philharmonie unverblümt formuliert. Und auch Olga Golodez, die stellvertretende Ministerpräsidentin der Russischen Föderation, gibt in ihrem Grußwort zu, dass es nicht rundläuft derzeit. Darum findet das Gastspielgroßprojekt „Russian Seasons“, das seinen Namen in Anlehnung an die legendären Pariser Ballett-Spielzeiten des Impresario Diaghilev trägt, nach Stationen in Japan und Italien 2019 in Deutschland statt. Über 400 Veranstaltungen werden in 70 verschiedenen Städten zu erleben sein, Moskau lässt dafür 1,5 Millionen Euro springen.

Zur „feierlichen Eröffnungszeremonie“ erklingt die vermeintlich so leicht Grenzen überschreitende Klassik. Dass die Russen dafür ausgerechnet den hierzulande umstrittenen Putinfreund Valery Gergiev schicken, ist dann schon wieder eine pikante Pointe. Russlands Vorgehen in Nordossetien findet der Dirigent in Ordnung, ebenso die Annektion der Krim, und wenn es um die Vorgehensweise seines Staates gegen Homosexuelle geht, verweist der Maestro darauf, dass in seiner Heimat eben weiterhin „an Tabus festgehalten wird, die in den westlichen Ländern nicht mehr gelten“.

Ganz weich wünscht sich Gergiev den Orchesterklang

Gergiev ist unbestritten der fleißigste Tourneekünstler des Landes. Doch statt des 24/7-Maestros hätte man auch den gerade am heißesten gehandelten Klassikmusiker überhaupt entsenden können, Teodor Currentzis, der zwar gebürtiger Grieche ist, aber seit dem Studium in Russland lebt und mit seinem Orchester Musicaeterna das „Wunder von Perm“ vollbracht und eine Provinzstadt am Ural zum Klassikhotspot gemacht hat. Im offiziellen Programm wird sein Name nicht genannt, sondern nur der seiner Truppe, mit der er bei den „Russian Seasons“ in Hamburg und Köln auftreten wird.

Allerdings, und das macht dann doch Hoffnung, präsentiert Gergiev neben der elfjährigen Alexandra, die mit feinem Anschlag Klavierstücke von Bach und Chopin spielt, am Montag auch „Jolanthe“, Tschaikowskys letzte, 1892 am Mariinski uraufgeführte Oper, in der es um eine blinde Prinzessin geht, die durch die Macht der Liebe ihr Augenlicht zurückerhält. Man sieht nur mit dem Herzen gut – ein schönes Motto auch für Diplomaten.

„Jolanthe“ ist selten auf Bühnen zu erleben, weil das Stück kaum inszenierbare Handlung hat und sich die Dramen im Innern der Figuren abspielen. Tschaikowskys Musik aber ist grandios; der zeit seines Lebens Unglückliche leidet und hofft mit seinen Protagonisten und vermag die Emotionen in eine berührende Tonsprache zu übersetzen. Ganz weich wünscht sich Valery Gergiev den Orchesterklang, wärmend wie ein Pelzmantel soll er sich um die Stimmen legen. Und trotz seiner merkwürdig flatternden Handbewegungen können die Musiker des Mariinski-Theaters ihrem Chef genau das geben, was er will.

Schwerer Bass, flutender Sopran

Aus seinem Riesenensemble hat er dazu Solisten ausgewählt, die sich ideal in die Ästhetik der emphatischen Melancholie fügen. Da ist Stanislav Trofimov mit schwerem, schwarzem Bass als König, Roman Burdenko singt einen sinnlichen Grafen von Burgund, Evgeny Nikitins Bariton hat den nötigen metallischen Kern, um die Autorität des islamischen Arztes akustisch zu beglaubigen. Mit flutendem Sopran erblüht Irina Churilova als Titelheldin vom traurigen Mädchen zur lebensfrohen Frau, lässt sich wach küssen vom verliebten Ritter Vaudémont, für den Najmiddin Mavlyanov eine jener seltenen Tenorstimmen aufbieten kann, die das Timbre des Jünglings mit bebender Brust bieten – und dazu durchschlagskräftigen Höhenglanz.

Dass der Weltschmerzensmann Tschaikowsky beim Happy End die Identifikation mit seinen Operncharakteren verliert und nur einen schematischen Oratorienschluss zu komponieren vermag, respektiert Valery Gergiev. Und dirigiert den Jubel dann ganz bewusst wie das Finale eines KPdSU-Parteitags: grell und aufgesetzt.

Weitere Informationen zum Programm unter www.russianseasons.org

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