
© Gianmarco Bresadola/Gianmarco Bresadola
Saša Stanišićs Bestseller „Herkunft“ im Theater: Schmerzlich willkommen in Deutschland
Erinnerungen an die frühere Heimat und einen fast vergessenen Krieg: Das Berliner Ensemble bringt ein tragikomisches Buch in ungewöhnlicher Besetzung auf die Bühne.
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Bei einer Preisverleihung – und Saša Stanišić hat schon einige Preise gewonnen – hat der Schriftsteller einmal gesagt: „Die beste Literatur ist die, vor der man ein bisschen Schiss hat. Du liest was, und das trifft dich so hier drin. Und du denkst dir: Ach, du liebe Scheiße.“
So ist da auch mit den Romanen, vor allem mit guten Romanen, wenn sie auf die Bühne kommen. Man hat ein bisschen Schiss davor. Vor dem Zuviel oder Zuwenig Kunst und Handwerk, mit dem die Literatur im Theater konfrontiert wird.
„Herkunft“ erschien 2019 und wurde mit dem Deutschen Buchpreis ausgezeichnet. Es handelt sich hier also nicht um einen Schnellschuss, sondern hat etwas zu tun mit der Schauspielerin Marina Galic, die seit dieser Spielzeit am Berliner Ensemble engagiert ist und wie Saša Stanišić bosnische Wurzeln hat.
Verhandelt wird ein „Buch über meine Heimaten, in der Erinnerung und der Erfindung“, so schreibt der Autor über sein Werk, „ein Buch über Sprache und Scham, Ankommen und Zurechtkommen, Glück und Tod.“
Für die Großmutter
Saša Stanišić wurde 1978 in Višegrad geboren, damals Jugoslawien. Und dieses Damals, dieses Ehemalige zieht sich durch das Erzählen. 1992 kam er mit seiner Familie nach Heidelberg, sie flohen vor dem Krieg. Was ließen sie nicht alles zurück, was haben sie doch mitgenommen?
„Herkunft“ kreist um die alte Großmutter auf dem Balkan, um Sašas Jugenderinnerungen, die gewiss das ganze übrige Leben bestimmen. Stanišić zeigt: Man überlebt am besten mit Humor, mit „Erfindung und Übertreibung“, wie es im Buch heißt, mit den Waffen eines Schriftstellers.
Auf der Bühne im Neuen Haus des BE (Ausstattung: Jan Hendrik Neidert, Lorena Diaz Stephens) liegt eine Insel mit Grünzeug. Das scheint das Rückzugsgebiet der Familie zu sein – nachher ein Altenheim, eine Tankstelle, wenn sich der Boden hebt und ein Dach formt. Viel Schnickschnack gibt es nicht, die Inszenierung von Stas Zhyrkov, einem Regisseur aus der Ukraine, der schon an der Schaubühne gearbeitet hat, konzentriert sich auf die Gruppe der vier Darsteller und Sprecher.
Das gefährliche Ex
Sie sind gegen den Typ besetzt. Peter Moltzen spielt die Oma, Joyce Sanhá ist die Mutter mit Dreadlocks, Marina Galic spielt den Jungen, die Hauptperson. Jannik Mühlenweg ist der Vater und manch ein anderer – eher unauffällig. Mit diesem Ensemble wird angezeigt: Flucht und Vertreibung sind global. Hier geht es um Ex-Jugoslawien, aber auch, in einem Monolog von Moltzen, um die Ex-DDR. Dieses Ex will aber nicht weichen.
Das Quartett gibt Frontalunterricht. Fast zwei Stunden spricht die Truppe nach vorn, selten einmal gönnen sie sich einen Moment der Stille und Reflexion. Sprunghaft in der Dauerschleife, reden, reden, reden: Im Buch erzeugt das einen Sog, im Theater erschöpft es sich schnell, dieses ständige Aufgekratztsein, die hektischen Gesten, das Jonglieren mit Klischees.
Dabei ist es schön, Marina Galic zuzuhören, wenn sie in Sašas erstes Verliebtsein eintaucht, das einen Tag hält und an der Sprache scheitert, der deutschen. Wenn sie mit der dementen Großmutter spricht, die wie ein Anker war, eine Garantie gegen das Vergessen.
Fatale Illusion
Und das nimmt man mit aus dieser Geschichte. War da Krieg 1991? Ja, da war Krieg in Jugoslawien, da geschahen unvorstellbare Massaker in Bosnien. Nationalismus und Chauvinismus breiteten sich wie ein Lauffeuer aus. Von heute betrachtet, war es der Beginn einer neuen Zeit der Kriege, als man eigentlich nach dem Fall der Mauer glaubte, in eine friedliche, optimistische Epoche einzutreten.
Es war ein Irrtum, in dem es sich der sogenannte Westen allzu lange bequem gemacht hat. Seitdem geschehen ständig unvorstellbare Verbrechen, gibt es Krieg in der Ukraine, seit bald vier Jahren. „Herkunft“ ist eine europäische Erzählung, für alle. Aber jedes Ex-Land ist ein ganz eigenes.
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