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Eine Kette mit Davidstern.

© Getty Images/vadimrysev

Schal im Sommer: Ich trage mein Herz um den Hals

Ihre Kette mit dem Davidstern hat unsere Kolumnistin von ihrer Mutter geerbt. Sie trägt sie immer – auch wenn sie sich deshalb mittlerweile bedroht fühlt.

Debora Antmann
Eine Kolumne von Debora Antmann

Stand:

Es hatte über 30 Grad in Berlin und ich suchte zu Hause verzweifelt nach einem Schal, der nicht so dick ist, dass ich einen Hitzschlag bekomme, aber breit genug, um meinen Davidstern zu verstecken.

Vor einigen Jahren wäre ich einfach mit T-Shirt rausgegangen. Die Blicke und Sprüche waren unangenehm, aber eben auch Alltag. Kein Grund, deswegen Kompromisse zu machen. Aber mittlerweile haben die Reaktionen so an Intensität gewonnen, dass ich das zermalmende Gefühl von Bedrohung nicht ignorieren kann.

Der Schal ist mein Äquivalent zum Hut über der Kippa. Es sorgt ebenfalls für Irritation (eine Frau im Rollstuhl, die bei über 30 Grad einen blickdichten breiten Schal trägt …), aber diese Irritation ist vor allem nervig – nicht unmittelbar gefährlich.

Natürlich habe ich darüber nachgedacht, den Stern einfach abzunehmen. Aber das wäre, als müsste ich mein Herz zurücklassen. Der kleine goldene Stern ist der Stern meiner Mutter. Als Kind hat mich das Schmuckstück um ihren Hals unendlich fasziniert. Wenn wir zu Hause waren und er nicht von Kleidung bedeckt war, habe ich ihn gerne zwischen die kleinen Finger genommen. Der Stern war immer warm. Warm von der Körperwärme meiner Mutter.

Als meine Mutter starb, ging ihr goldener Stern an mich – ich war neun. Der Stern, der da in meiner Handfläche lag, war leblos und kalt. Wie irritiert ich war, dass der Stern sich nun plötzlich kühl in meinen Fingern anfühlte. Mir kommen die Tränen, wenn ich daran denke. Ich hatte wortwörtlich die Wärme meiner Mutter verloren.

Ich erinnere mich nicht mehr genau, was dazu geführt hat, dass ich in meinen frühen Zwanzigern beschloss, den Stern selbst zu tragen. Und ich lebe seitdem täglich mit der Panik, dass die Kette reißen und ich den Stern verlieren könnte.

Aber das ist es mir wert. Denn jedes Mal, wenn ich an mein Brustbein greife, spüre ich den warmen Stern an meinen Fingern. Ein Symbol meiner eigenen Wärme, eine Erinnerung an ihre.

Also gehe ich bei 30 Grad lieber unter meinem Schal ein, statt auf diese Wärme zu verzichten. Denn die Welt ist kalt genug.

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