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Kultur: Schutzlos schön

Lyrische Landschaftsmaler: Christian Schloyer gewinnt den Darmstädter Leonce-und-Lena-Preis

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„Wir sind so gerne in der Natur, weil diese keine Meinung über uns hat“, stellte schon Friedrich Nietzsche fest, und der seit 1979 knospende „Literarische März“ sollte ihm in seiner aktuellen Ausgabe vehement recht geben. Nico Bleutge, einer der Förderpreisträger des Jahres 2003, widmete sich inmitten von anderweitigen Natur- und Landschaftspeilungen noch den „Charakterköpfen“ des aufklärerischen Bildhauers Franz Xaver Messerschmidt. Und in den Restlandschafts-Stillleben seiner Kopreisträgerin Marion Poschmann behaupteten immerhin Körper als „Depots der Geschichte“ ihren Platz. Dieses Jahr hingegen verschwand in Darmstadt das Interesse am Humanen weitgehend aus dem Blick.

„Inmitten geflirrs platzender knospen + vögel“ siedelt der 1976 in Erlangen geborene Christian Schloyer seine metrisch reiche Spurensuche nach Ursprünglichkeit an. Die Zyklen „in diesem garten eden“ und „von innen an den mond stoßen“ überzeugten in ihrer Gegenüberstellung von Kunst- und Naturwelt. In die scheinbar barocke Heiterkeit mischen sich ernste Unterströmungen: „Schön sein, das ist jetzt kein Schutz mehr“. Auch der neue Leonce-undLena-Preisträger (Preisgeld: 8000 Euro) wird von der bildenden Kunst inspiriert, von Malern wie Claude Monet oder Gerhard Richter. Ganz Augenmensch sein birgt jedoch die Gefahr der Statik: „Wär ich wie der fahle / birkenstamm, der sich lautlos /neigt, so laublos, über einen gelben weichen / teich – wär ich für meinen / kopf nur das stativ“.

Die bedrohte Restnatur wird von den jungen Lyrikern aus einer ironischen Reserve heraus betrachtet. Der Mensch tritt harmlos als Liebender oder Spaziergänger ins Gedicht, kaum je als Städtebewohner oder gar als Werktätiger. Nur René Hamann beschrieb in „das ende der arbeit“ mit Anklängen an Rolf Dieter Brinkmann eine leere Innenstadt, der mit den Arbeitsplätzen das Leben abhanden kam. Renatus Deckert wagte sich, arg adjektivreich, an Vergänglichkeitspanoramen auch an einem Schreckensort wie Plötzensee. Das Gedicht als optisches und akustisches Präzisionsinstrument im Sinne Thomas Klings, dessen Geist über dem Poesie-Marathon schwebte, erprobte auch Norbert Lange mit Tiefenbohrungen in die deutsche Kolonialgeschichte.

Kurt Drawert, wie seine Jury-Kollegen Jan Koneffke und Raoul Schrott (die durch Sibylle Cramer und Brigitte Oleschinski luzide ergänzt wurden) selbst früherer Leonce-und-Lena-Preisträger, meint: „Inhalte oder verweigerte Inhalte sagen auch etwas über das Reflektionsniveau einer Gesellschaft aus. Revolutionäre Umbrüche sind im Rückverweis der Lyrik auf die Verhältnisse ihres Entstehens wohl nicht zu erwarten. Aber wenigstens die Natur wird wieder schöner.“ Ganz im grünen Mainstream lag Andrea Heuser aus München, Jahrgang 1972. Ihr schlichtes Outdoor-Workout-Programm wurde mit einem Wolfgang-WeyrauchFörderpreis (je 4000 Euro) belohnt. Sie dekliniert Verben wie „loben“, „liegen lernen“ oder „werfen“ in freier Landschaft und findet damit, so die Jury, zu einer „intensiven Körperlichkeit, deren heller Ton Kindheit wiederbelebt“.

Fragwürdig auch die Behandlung des als Favorit geltenden Berliner Lyrikers Steffen Popp: Er hatte 2004 mit dem erratischen Band „Wie Alpen“ im entdeckungssicheren Kookbooks-Verlag debütiert. Popps Mut zum großen Gefühl, zur „Auratischen Flurkunde“, in der sich das „Licht in den Bäumen wie ein verwelktes Klavier“ surreal ins Gedächtnis brennt, wurde als ironisches Täuschungsmanöver abgetan. Unglücklich war die Entscheidung, den Wettbewerb an einem einzigen Tag abzuspulen – wacker und charmant von dem Lyriker Hauke Hückstädt moderiert. Auch das Novum, eine sechsköpfige Kritikerrunde vorab unter Auslassung der eingereichten Texte über Gegenwartslyrik debattieren zu lassen, geriet zum Eiertanz.

„diese sage geht ihren eigenen pfad, es fehlt uns an stoffen, keine frage“ heißt es hellsichtig in einem der Prosagedichte von Ulrike Almut Sandig, die durch ihre leise Intensität beeindruckten. Mit hohem poetischen Mehrwert ist die 1982 in Bremen geborene Nora Bossong zu den alten Weisen zurückgekehrt, eine der jüngsten Teilnehmerinnen und bereits Romanautorin. Sie erhielt ebenfalls den Wolfgang-Weyrauch-Förderpreis. Nora Bossongs Variationen vom Rolandslied als Abschied vom Vater im Hitzeflirren oder die Konterkarierung des mittelalterlichen Tageliedes in „Leichtes Gefieder“ zeugen von Authentizität und offenbaren eine „schöne Distanz zwischen uns und den Dingen“, wie Raoul Schrott sagte. „Ich bin zu leicht für deine Mythen“: So spricht der Vogel Jugend beim Literarischen März. Katrin Hillgruber

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