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Andreas Zorn, Mitternacht, 1891, Öl auf Leinwand.

© Zornmuseet/Mora

Schwedenstar Anders Zorn in der Hamburger Kunsthalle: Maler der Schnösel und Mitternachtssonne

Als Porträtist ermalte sich Anders Zorn den sozialen Aufstieg und blieb doch dem bäuerlichen Leben seiner Heimat treu. Die Hamburger Kunsthalle zeigt nun „Schwedens Superstar“.

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Die Kopftücher blitzen blütenweiß, die Füße stampfen und hüpfen auf dem grünen Rasen, und die jungen Paare schwenken sich so wild herum, dass die Wangen glühen: Es ist Mittsommernacht auf Anders Zorns Gemälde. Mit impressionistisch schwungvollem Pinsel hat der Maler die ländliche Szene festgehalten. Schweden pur?! Das Bild besitzt für Nordlichter ikonischen Status.

Um die Jahrhundertwende gemalt, suggeriert es die ungebrochene Lebendigkeit uralter Traditionen. Allerdings, schon damals war das eine Illusion. Der Dorftanz wurde auf Geheiß des Malers flugs organisiert, als er zusammen mit dem schwedischen Prinzen Eugen auf Besuch kam.

Die volkstümlichen Bräuche waren längst im Schwinden begriffen, ein bedrohtes Kulturerbe. Anders Zorn empfand sie als schützenswert. Er trug auch Dutzende betagte Holzkaten zu einem Freilichtmuseum in seiner Heimatregion Dalarna zusammen. Eines davon, 1237 erbaut, gilt heute als das älteste Haus Schwedens.

Die obszönen Akte in freier Natur werden heute kritisch gesehen

Der Sohn eines deutschstämmigen Bierbrauers kam unehelich zur Welt. Aus einfachen Verhältnissen malte er sich empor in die globale High Society. US-Präsidenten, Wirtschaftsbosse, schwerreiche Mäzeninnen und Operngrößen gehörten zu seinen Kunden. Mit Manet, Whistler und Singer Sargent wurde er in einem Atemzug genannt: ein internationaler Malerstar, wie Schweden keinen zweiten kannte.

Heute wird manches in seinem Schaffen kritischer gesehen. Insbesondere die obszönen Akte in freier Natur mit ihren effekthascherisch rosigen Popos. Aber dieser Maler ist wandlungsfähig, vielschichtig und nicht zuletzt hinreißend in seiner stupenden Beherrschung malerischer Techniken. Schon mit Anfang 20 begeisterte er das Publikum. Sein Debüterfolg, eine zart, aber präzis hingetuschte junge Dame „In Trauer“, ist nun auch ausgestellt in der Hamburger Kunsthalle.

Tatsächlich startete Zorn als Aquarellist. Ob Steilküste, Wildblumenwiese oder Straßenszene: Die detailscharfen Blätter haben das Standing von Ölgemälden, auch im Ausführungsgrad. Erst mit 28 Jahren, in der britischen Künstlerkolonie St. Ives wagte Zorn sich an die Ölmalerei und reüssierte sogleich. Auch als virtuosen Radierer schätzten ihn die Zeitgenossen. Dieser hochbegabte Aufsteiger wollte und suchte den Erfolg. Er ging die Sache strategisch an.

Die High Society liebte es, sich von ihm porträtieren zu lassen. 1900 malte Anders Zorn Elizabeth Sherman Cameron, die Frau eines US-Senators.

© Amells Fine Art Gallery, Stockholm/Patric Evinger

Um seine aus wohlhabender jüdischer Familie stammende Emma heiraten zu können, zog der mittellose junge Künstler zuerst nach Spanien, später nach London, immer die zahlungskräftige Kundschaft im Blick.

Er suchte ansprechende Motive, arbeitete sich an gängigen Klischees ab. Da sind die glutäugigen Spanierinnen mit ihren Fächern, die Gärten der Alhambra, das reizvolle Lüften des Schleiers in Algier: Zorns Reisebeobachtungen rufen bekannte Vorstellungen vom Fremdartig-Reizvollen auf. Was aber verblüfft, ist seine frische, fast fotorealistische Auffassung des Moments. In Paris malte er die Fahrgäste im Omnibus, in Stockholm die Arbeiterinnen in einer Brauerei.

Zorn war reiselustig

Mit diesem Maler kommt man weit herum, Zorns Reisepensum blieb zeitlebens enorm. Allein siebenmal schipperte er in die USA. Auf der Atlantiküberfahrt zückte er natürlich den Aquarellblock. Das spiegelnde Wasser wiederzugeben, faszinierte ihn immer, ob in Istanbul oder Hamburg, wo er auf Einladung des Kunsthallendirektors Alfred Lichtwark 1891 den Hafen malte. Wie auf schwankenden Planken fühlt man sich beim Betrachten, so glaubwürdig ist die bewegte Flut ins Bild gebracht. Allerdings verkaufte das Museum, in Geldnot geraten, das großformatige Aquarell schon in den 1920ern wieder: Zorns Stern war rasch gesunken.

Das Gemälde „Die lesende Emma Zorn“ entstand im Jahr 1887.

© Zornmuseet, Mora

Ein künstlerischer Revoluzzer war dieser Maler nie. Vielmehr gehörte Zorn zur Generation derer, die im Fahrwasser des Impressionismus zu Ruhm gelangten und den skizzenhaft wirkenden Malmodus international gesellschaftsfähig machten. Beste Einnahmen brachte das Porträtmalen. Ein schönes Beispiel dafür ist sein Bildnis des immens reichen Grafen Jean Burnay: ein Schnösel im kleinkarierten Jackett auf seidigem Sofa. Ein feines Gespür hatte Zorn für die Erwartungen seiner Klientel. Sie zu entlarven und hinter die Fassade blicken, war nicht sein Ziel.

Ehefrau Emma organisierte alles

Zorns Ehefrau Emma brachte ihre gesellschaftlichen Netzwerke ein und auch ihr Organisationstalent. Als Sachwalterin seines Schaffens blättert sie auf einem lebensgroßen Bildnis im roten Tupfenkleid wie eine Galeristin im Mappenständer, bereit, eine Auswahl von Arbeiten des Künstlers vorzulegen.

Gleich daneben hat das Kuratorenteam die skandalträchtige „Venus de la Villette“ platziert, ebenfalls aus den Pariser Jahren. Für die Dargestellte ist das nackte Modellstehen ein Job. Gelangweilt, als pures Objekt männlichen Blicks steht sie da. Sie spielt keine Scham vor. Sie ist es gewöhnt.

Mit Mitte dreißig kehrte der weltläufige Maler zurück in sein schwedisches Dorf, erwarb Grund und baute sich ein heute zum Museum gewordenes Haus im folkloristischen Stil. Die Rückkehr war zugleich Aufbruch. Im modernen Stil, am Impressionismus geschult, ging der Maler nun daran, traditionelles Landleben ins Bild zu setzen: eine Laute spielende Frau in rotbunter Tracht, eine versonnene Hirtin zwischen Kiefern, eine Ruderin auf stillem Wasser. Enorm glaubwürdig wirken diese gemalten Momente. War es so? Könnte es so gewesen sein?

Zorns bäuerliche Bilder trafen einen Nerv der Zeit. Gekauft wurden sie von einer internationalen Sammlerschaft.

Das eindrucksvolle Gemälde „Sonntagmorgen“ gehörte einmal dem Berliner Verleger Rudolf Mosse, nachdem es in der Sezession ausgestellt war. Im rasanten, asymmetrischen Anschnitt, als sei es eine zufällige Momentaufnahme, blicken wir in eine niedrige Bauernstube, wo drei Frauen sich waschen und anziehen. Vor einigen Jahren erzielte das Bild einen Auktionsrekord: als teuerstes schwedisches Kunstwerk ever.

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