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"Les contes de la nuit".

© Berlinale

Wettbewerb: Sechs auf einen Streich

Gibt es etwas Trauriges als Märchen ohne Seele? Michel Ocelots 3-D-Animationsfilm „Les contes de la nuit“ läuft im WETTBEWERB der Berlinale.

Die Berlinale als Sonntags-Frühstücksfernsehen für Kinder. Mit 3-D-Brillen sitzen die aufgeweckten Journalisten frühmorgendlich im Berlinale-Palast und gucken Trickfilm-Märchen, eins nach dem anderen. Da sind zwei schöne Schwestern, die einen schönen Mann lieben, aber der ist in Wirklichkeit ein Werwolf. Und ein kleiner Junge von den Antillen hat keine Angst vor einer Höhle, in der es immer nur bergab geht. Eine goldene Stadt wird von einem jungfrauenfressenden Ungeheuer bewacht. Ein junger Mann hat das Lügen nicht gelernt und immer so weiter. Nicht sieben, aber sechs auf einen Streich! In nur 84 Minuten.

Und der Franzose Michel Ocelot, Gesamtkünstler in Wort und Bild, ist das tapfere Schneiderlein. Er kann die Zahl auch begründen: Er habe so viele Geschichten zu erzählen. Und er interessiere sich für alle Landschaften. Und für die Geschichte sämtlicher Erdteile und Völker. Für deren Geschichte und Geschichten.

Darf man sich bei Märchen langweilen, egal ob man acht oder achtzig ist? Dabei: Alle Menschen und Erdteile, ja ganze Völker sehen bei Ocelot sehr schön aus. Jede Szene ist wie eine Scherenschnitt-Kunstpostkarte, und noch dazu räumlich. Und die Farben! Scherenschnitte hatte Ocelot eigentlich nur gemacht, als er kein Geld hatte und das ist schon länger her. Aber beim Arbeiten mit 3-D erinnerte er sich an die Vergessenen: Der erste Scherenschnitt-Film war 1926 Lotte Reinigers „Die Abenteuer des Prinzen Achmed“.

Natürlich sind auch bei Ocelot alle Menschen schwarz und haben keine Gesichter, nur Silhouetten! Aber was für welche, so voller Anmut. Könnten wir nur wie Ocelots Silhouetten sein, vielleicht wären die Menschen doch ein liebenswertes Geschlecht!

Damit der Regisseur seine Märchen nicht nummerieren musste, gibt es eine Rahmenhandlung: Zwischen lauter neuen Hochhäusern, von denen man nur die Fenster als Lichtflecke sieht, steht ein altes, geschlossenes Kino, und darin denken sich ein älterer, technisch begabter Herr, ein Mädchen und ein Junge Geschichten aus. Und jedes Mal wieder hebt sich der rote Vorhang des alten Kinos für einen neuen Traum.

Nun gibt es längst ein ganzes Genre der Das-Kino-als-Erzieher-Filme, allen voran Giuseppe Tornatores „Cinema Paradiso“ von 1988. „Les contes de la nuit“ zählt nicht zu ihnen. Dieser Film ist genauso wie manche Prinzessinnen im Märchen: sehr schön, aber leer. Gibt es etwas Trauriges als Märchen ohne Seele?

Heute 10 und 20 Uhr (Urania); 20. 2., 10 Uhr (Berlinale-Palast)

Sie sind schön, aber leer:

Gibt es etwas Traurigeres

als Märchen ohne Seele?

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