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Kultur: Sendung mit der Maus

Wer ist schlauer: In Lutz Dammbecks Tier-Installation lernt ein Computer vom Nagetier. Oder umgekehrt.

Aluminiumwürfel auf Aluminiumwürfel. Wie hoch soll man sie aufeinander türmen? Manche Stapel verrutschen. In Socken steht der Medienkünstler Lutz Dammbeck in einem Terrarium und nimmt letzte Korrekturen an einer urbanen Komposition aus Hunderten von Quadraten vor, jedes von der Größe eines Zauberwürfels. Gleich wird eine 15-köpfige Familie aus Wüstenrennmäusen in dieses Labyrinth einziehen, um gegen einen Computer anzutreten. Der soll die extrem leichten Quader mit einem Roboterarm immer wieder in die alte Anordnung bringen, das Verhalten der Mäuse analysieren und irgendwann voraussagen. So weit die Theorie.

„Re-Reeducation“ (Umerziehung der Umerzogenen) heißt Dammbecks Ausstellung in der Galerie Coma. Der Maler und Filmemacher hat eine Maschine nachgebaut, die schon vor 37 Jahren entwickelt wurde. Auf der Ausstellung „Software“ im New Yorker Jewish Museum stand „Seek“ des Architekten Nicholas Negroponte 1970 im Mittelpunkt. Die Apparatur spiegelte die Faszination von Computertechnologien in der Kunst, Schnittstellen von kybernetischen und systemtheoretischen Auseinandersetzungen sowie den ewigen Kampf von Natur gegen Anti-Natur auf besonders anschauliche Weise wider.

Natürlich war das metaphorisch angelegt. Es ging Negroponte darum, ein kybernetisches Weltmodell zu entwickeln – mit Mäusen. „Aber gemeint waren eigentlich Menschen“, sagt der 58-jährige Käthe-Kollwitz-Preisträger Dammbeck über die Konstruktion. Der Mensch als emsige Maus im Versuchslabor Moderne, kontrolliert und manipuliert durch ein Regulierungssystem – das ist es auch, was den Künstler beschäftigt. In seinen Werken tauchen immer wieder die Themen Verhaltensforschung, Kontrolle, Konditionierung, neue Technologien und Utopien auf, stets unterlegt mit einem verstörenden Zug ins Paranoide und Hang zu Verschwörungstheorien.

Zum Teil speist sich diese Obsession aus seiner persönlichen Vergangenheit. Der 1948 in Leipzig geborene Dammbeck hat die ersten 38 Jahre seines Lebens in der DDR gelebt, an der Hochschule für Grafik und Buchkunst studiert, Trickfilme gemacht und spätestens mit seiner Arbeit am Herakles-Konzept die Aufmerksamkeit der Staatssicherheit (Aktenzeichen „OV Herakles“) auf sich gezogen. 1986 reiste er zusammen mit seiner Frau, der Fotografin Karin Plessing, und der gemeinsamen Tochter Sophie gen Hamburg aus. „In der DDR kam ich das erste Mal damit in Berührung, dass ein System auch weh tun kann. Alles hat seinen Preis, das hat man da gelernt. Und schön war das nicht. Aber durch die Erfahrung wurde mein Misstrauen geschärft, meine Skepsis“, erzählt er mit seiner ruhigen, bedachten Stimme, in der noch die sächsische Sprachmelodie mitschwingt. Durchdringend schaut er dabei über seine braune Designerbrille hinweg, die so gar nicht zu seiner äußeren Erscheinung passen mag. Kleidung und Frisur wirken nachlässig. Ganz im Gegensatz zu seiner Arbeit, in der Dammbecks Lebensthema zur kühl konzipierten Versuchsanordnung wird.

Ob in „Das Netz – Unabomber, LSD und Internet“ aus dem Jahre 2003, seiner Ausstellung „Paranoia“ in der Akademie der Künste 2006 oder jetzt in der wie ein Seminar angelegten Ausstellung „Re-Reeducation“, Lutz Dammbeck montiert, kontextualisiert und verdichtet verschiedene Aspekte eines großen, komplexen Ganzen. In den Galerieräumen im Tuteur-Haus werden unter anderem 80 Artikel aus der „New York Times“ von 1949 bis ’53 über Forschungsstudien zum autoritären Charakter, Korea-Krieg, Brainwashing oder LSD projiziert. Schlüsselwerke von Norbert Wiener, Adorno, Horkheimer, Kurt Lewin oder Marshall McLuhan liegen auf Sechziger-Jahre-Bürotischen zum Lesen aus und es werden Ausschnitte aus der amerikanischen Fernsehshow „Supermarket Sweep“ aus den Neunzigern gezeigt. Darin müssen Kandidaten auf Signal so schnell wie möglich in einem Supermarkt bestimmte Produkte finden, um einen Einkaufsgutschein zu gewinnen.

Dammbeck, der seit 2000 an der Kunsthochschule in Dresden die Professur für Neue Medien innehat, steuert zudem einen Reader bei, der erst den Gesamtzusammenhang der einzelnen Arbeiten verdeutlicht. Zum Titel der Ausstellung, der auch auf den Kurt Lewin zugeschriebenen Satz „Umerziehung soll in Selbstumerziehung übergehen“ anspielt, sagt er, er habe „zuerst an die Umerziehung im Nachkriegsdeutschland gedacht, als aus autoritären Charakteren Demokraten werden sollten“. Heute gilt hier das Seminarziel: Dekonstruktion der Dekonstruktion.

Immer schnüren Querverweise bei Dammbeck alles zusammen, lassen das Kleine im Großen erkennen. Denn nicht nur, dass die Maschine ein Replikat von Negropontes Original ist, der sich übrigens mit dem „Education Project“ für die Forderung nach einem Laptop pro Kind in der Dritten Welt einsetzt und dessen Bruder ausgerechnet Chef der US-Geheimdienste und seit 2004 erster Botschafter im Irak ist. Auch die Wüstenrennmäuse, die heute umherpesen sind Nachkommen jener Nager, die der Amerikaner benutzt hat. Zumindest von den wenigen Exemplaren, die überlebten. 1970 sind die meisten von ihnen während der Ausstellung verstorben. Der bewunderte und viel umsorgtere Computer erwies sich als Sieger.

Heute ist es andersherum: Schon nach einer Woche haben die possierlichen Tierchen, die von dem Verhaltensbiologen Dr. René Weinandy der Uni Halle- Wittenberg betreut werden, das System lahm gelegt. Sie machten sich den Roboterarm als Fahrstuhl durch die Aluminiumwelt zunutze und verleibten sich nach und nach die Kabel ein, so dass alles zusammenbrach. „Es steht also 1:0 für die Mäuse“, meint Dammbeck und scheint sich fast zu freuen. Sind sie doch für ihn ohnehin das durchdachtere und intelligentere System. Jetzt geht es in die zweite Runde. Wird der Computer dazulernen?

„Re-Reeducation“, bis 7. Juli in der Galerie Coma (Leipziger Str. 36, Mitte), Di-Sa 11-18 Uhr. Vortrag heute 20 Uhr: Die mongolische Wüstenrennmaus in der Verhaltensbiologie von PD Dr. René Weinandy (Institut für Zoologie/ Biologie der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg)

Annika Hennebach

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