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Berlinale Special: Sex und Soap aus Swinemünde

Hermine Hungeburth verwandelt "Effi Briest" in eine Tragödie der Leidenschaften - mit Julia Jentsch in der Hauptrolle.

Ja, ja, die Ellipsen. Fontane war ein Meister der Auslassung, der Gedankenstriche. Sexualität, Sinnlichkeit, Freiheitsdrang – sein berühmtester Roman „Effi Briest“ vibriert davon, ohne auch nur einmal explizit zu werden. Das ist die Kunst.

Die Neuverfilmung von Hermine Huntgeburth, die anlässlich der Goldenen-Kamera-Verleihung an Günter Rohrbach in einer Berlinale-Special-Gala gezeigt wird und am Donnerstag regulär in die Kinos kommt, geht anders vor, deutlicher. Effis Entjungferung ist eine Quasi-Vergewaltigung, es folgen heiße Liebesszenen mit Major Crampas in einer Hütte am Strand, und ein neuer, versöhnlicher Schluss, der Effi ein emanzipiertes Weiterleben ermöglicht. Kein Tod an gebrochenem Herzen, dafür die beschränkte Freiheit eines Single-Lebens in der Großstadt.

Fontane sei „vor-freudianisch“, gibt die Regisseurin, die zuletzt „Die weiße Massai“ – auch eine Ehe-Emanzipationsgeschichte – gedreht hat, zu Protokoll und bemüht sich gerade deshalb, ihn mit Freud-Augen zu lesen. Das sieht so aus: Der rätselhafte Chinese, der Effi in ihrem Haus in Kessin ängstigt, wird zur Wunschfigur, ein Traumtanz zum Lustmord. Und Effis Liebessehnen wird von Major Crampas brüsk zurückgewiesen: „Ist das jetzt Liebe?“ fragt sie nach der ersten erfüllten sexuellen Begegnung. „Nein, Freiheit“, ist die Antwort.

Das Problem ist: Mit dieser psychoanalytischen Lesart einher geht eine Entzauberung, die von der Kraft des Stoffs nicht mehr viel übrig lässt. Da mag Julia Jentsch, die sich in die lange Reihe der Effi-Darstellerinnen von Marianne Hoppe über Ruth Leuwerik, Angelica Domröse bis zu Hanna Schygulla wildhaarig und würdig einreiht, noch so leidenschaftlich von der verängstigten jungen Ehefrau zur selbstbewussten Geschiedenen reifen – der Plot rutscht durch die auserzählte Emanzipationsgeschichte von Fontane deutlich in Richtung Courts-Mahler. Mag sein, dass der neue Schluss dem Leben der „wahren Effi“ Elisabeth von Ardenne angenähert ist. Fontanes (immer noch aktuelle) Anklage gegen eine Gesellschaft, die Konvention über besseres Wissen und Gewissen stellt, geht verloren.

Auch in den Männerrollen bleiben Fragezeichen. Sebastian Koch ist als Instetten zu gutaussehend-verständnisvoll, als dass es unmöglich wäre, sich in ihn zu verlieben, Misel Maticevic als Crampas hingegen zu windig-verführerisch, als dass eine kluge Frau wie Effi auf ihn hereinfallen müsste. Juliane Köhler als Effis Mutter und Instettens eigentliche Liebe, Barbara Auer als aus Eifersucht intrigierendes Hausmädchen, Thomas Thieme als entscheidungsunwilliger Briest und Rüdiger Vogler als chargierender Apotheker Grieshübler vervollständigen die Besetzung. Sex und Soap liegt in der Luft, und aus dem Gesellschaftsdrama ist eine Tragödie der Leidenschaften geworden – modern gedacht, aber nicht mutig genug. Auch die Drehorte Unter den Linden und Riehmers Hofgarten sorgen eher für amüsante Berlin-Déjà-Vus als für echtes Zeitkolorit. Einzig die in Lettland gedrehten Kessin-Szenen geben eine Ahnung vom schäbigen Leben in einer preußischen Provinzstadt des 19. Jahrhunderts, die im Roman Fontanes Kindheit in Swinemünde nachgestaltet ist.

Noch einmal 10. 2., 18 Uhr (Cubix). Der Film läuft ab Donnerstag in den Kinos

Christina Tilmann

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