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Das Smartphone als literarische Spannungsmaschine. Die New Yorker Autorin Tara Isabell Burton, 29.

© Rose Callahan/Verlag

„So schöne Lügen“ von Tara Isabell Burton: Toxische Frauenfreundschaft

In Tara Isabell Burtons Debüt „So schöne Lügen“ wird das Smartphone zur Spannungsmaschine.

Erzähltechnisch gesehen, sind Smartphones Spannungskiller. Denn Spannung dadurch zu erzeugen, dass zwischen Figuren im entscheidenden Moment wichtige Informationen nicht weitergegeben werden können, wird für Autoren in Zeiten allgegenwärtiger Erreichbarkeit immer schwieriger zu erklären. Okay, zur Not ist halt der Akku leer oder das Handy ins Klo gefallen.

Nur durchschauen Leser das schnell als billigen Trick – sozusagen als Äquivalent fürs durchgeschnittene Telefonkabel vordigitaler Zeiten. Über die Problematik „Erzählen im Handy-Zeitalter" wurde schon in der „New York Times“ reflektiert; hierzulande hat Kathrin Passig in ihren Grazer Vorlesungen zur Kunst des Schreibens unlängst beobachtet, dass das iPhone immer mehr Autoren mit ihren Narrationen in technikarme Epochen flüchten lässt.

So gesehen kommt Tara Isabell Burtons „So schöne Lügen“ zur rechten Zeit. Im Romandebüt der 29-jährigen New Yorker Journalistin entpuppt sich das Handy als literarische Spannungsmaschine von beklemmender Dämonie. Burtons Thriller über eine toxische Frauenfreundschaft funktioniert gerade deshalb, weil Informationen wie Likes oder Statusupdates heute in Echtzeit geteilt werden können und sich so regelrechte Zombie-Existenzen erschaffen lassen. Weshalb der deutsche Titel zwar treffend ist (und auf Serienhits wie „Pretty little liars" anspielt), aber nicht so gut wie der Originaltitel „Social Creature“.

Das digitale Leben erscheint wichtiger als das reale

Schließlich sind alle Figuren dieses Romans, der in der Jeunesse dorée von New York spielt, Kreaturen der sozialen Netzwerke. Und so süchtig nach Likes und Kommentaren, dass diesen Mittzwanzigern das digitale Leben längst wichtiger scheint als ihr reales. Vor allem aber führt eine von ihnen, die kapriziöse Party-Queen Lavinia, die noch das grottigste Selfie via Instagram-Filter in einen Beweis für eine weitere „Nacht ihres Lebens“ verwandelt, nach ihrem irdischen Dahinscheiden in der zweiten Romanhälfte ganz buchstäblich ein gespenstisches Fortleben als reines Social-Media-Geschöpf.

Was deshalb möglich wird, weil Lavinias Mörderin nicht nur ihre Kreditkarte, ihr von den Eltern finanziertes Luxusappartement auf der Upper East Side und ihren Ex-Freund Rex übernommen hat, sondern eben auch Lavinias Handy. Burtons provozierend sympathische Hauptfigur heißt Louise Wilson. Zu Romanbeginn haust sie noch in einer „kakerlakenverseuchten Bude“ und jongliert mit drei Teilzeitjobs, um sich ihren Traum von einem Leben als Schriftstellerin in New York zu erfüllen. Doch dann wird sie durch einen Zufall zu Lavinias neuester „bester“ Freundin. Und weil Louise Lavinias Hunger nach narzisstischer Spiegelung zu stillen versteht, wird sie zum Dank auf exklusive Partys und zur Saisoneröffnung der Met mitgeschleppt und mit wichtigen Leuten der Literaturszene bekanntgemacht. Am Ende darf sie sogar bei Lavinia einziehen – der Höhepunkt einer tödlichen Spirale wechselseitiger Abhängigkeit.

Später, als Lavinias Leiche längst in einem Überseekoffer im East River treibt, simuliert Louise für alle Partybekanntschaften und -verehrer der Toten ganz einfach mit fliegenden Fingern einen via Facebook verfolgbaren monatelangen Selbstfindungstrip quer durch die Staaten, gefakte Selfies und Kommentare im schrillen Lavinia-Stil auf den Seiten ihrer Freunde inklusive. Alles frei nach Descartes: Ich poste, also bin ich. Zu diesem Zeitpunkt hat sich Burtons weibliche Version von Patricia Highsmiths „Talentiertem Mr. Ripley“ fürs Social-Media-Zeitalter in einen veritablen Pageturner verwandelt. Denn was „So schöne Lügen“ vorführt, ist nicht nur die WhatsApp-mäßige Verdichtung von Zeit in Sozialen Netzwerken. Sondern auch, wie sehr das Handy zur allmächtigen Steuerzentrale unserer Existenz geworden ist und wie der, der darauf Zugriff hat, auch zugleich unser Leben in der Hand hat.

Burtons Roman erschien, als Anna Sorokin aufflog

Dass die launenhaft-lächerliche Lavinia mit ihren Oscar-Wilde-Zitaten, Vintage-Kleidern und dem Traum von einem Boheme-Leben à la Lou Salomé sterben muss, ist übrigens kein Spoiler. Burtons penetrante Erzählerin kündigt diese Wendung schon auf den ersten Seiten an. Auch sonst schaltet sie sich gerne ein mit Wendungen wie „Die Sache ist die“, oder sie macht mit ihrem Gossip-Ton den Leser zum klatschsüchtigen Komplizen: „Ihr und ich, wir sind schon auf Partys gewesen. Wir wissen, wie das ist.“

Solcherart Rollenzuweisung gehört ebenso zu den Charakteristiken dieses furiosen Debüts wie die rasanten Dialoge, die diversen literarischen Vornamen wie Cordelia oder Beowulf sowie authentische New-York-Lokalitäten. Burtons Roman übrigens erschien in den USA, als gerade „Anna Delvey“ alias Anna Sorokin aufgeflogen war. Gemordet hat die inzwischen verurteilte russisch-deutsche Hochstaplerin zwar nicht, dafür aber über Monate hinweg New Yorks High Society nach Strich und Faden ausgenommen. Ihr noch immer abrufbares Instagram-Profil hätten wohl auch Lavinia und Louise gelikt.

Tara Isabell Burton: So schöne Lügen. Roman. Aus dem amerikanischen Englisch von Clara Drechsler und Harald Hellmann. Dumont Verlag, Köln 2019. 336 Seiten, 22 €.

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