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Subversives Frauenkollektiv. Die Künstlerinnengruppe Erfurt, hier von der Experimentalfilmerin Gabriele Stötzer im Jahr 1990 fotografiert. Die Ausstellung „Hosen haben Röcke an“, die sich ihrem radikalen künstlerischen Gegenentwurf zum DDR-Alltag widmet, ist noch bis zum 30. Januar in der NGBK, Oranienstraße 25 zu sehen.

© Archiv Gabriele Stötzer

Ignoriert, aber nicht vergessen: So vielfältig sind die Filme ostdeutscher Regisseurinnen

Ihr Schaffen nach 1990 war lange Zeit unterbelichtet. Diese Leerstelle will das Buch „Was wir filmten“ füllen.

Dieses Buch kommt zu spät - und damit zur rechten Zeit. Hervorgegangen ist es aus dem Programm „Nach der Wende“ beim Internationalen Frauenfilmfestival Dortmund/Köln, mit dem sich die westdeutsche Kuratorin Betty Schiel im September 2020 ostdeutsche Filme nach der Wende erschließen wollte. Im Begleittext wurde der Schritt als „fällige Nachhilfestunde, um meinen Blick auf Ostdeutschland zu justieren“ bezeichnet.

Das ist der Teil, der „zu spät“ ist. Weil er vom dicken Staub der Ignoranz kündet, der auf dem unter dem Titel „Was wir filmten. Filme von ostdeutschen Regisseurinnen nach 1990“ von Betty Schiel und Maxa Zoller herausgegebenen Sammelband (Bertz + Fischer Verlag, Berlin, 208 Seiten, 16 Euro) auch liegt. Dass es ein 30-jähriges Jubiläum braucht, um sich für eine Kultur zu interessieren, die die ganze Zeit da war.

Wie grobmotorisch das Justieren von Schiels Sichtung ausgefallen ist, zeigt sich am munteren Gespräch, das am Ende des Buchs abgedruckt ist. Da lässt die westdeutsche Kuratorin ihrer Überraschung freien Lauf, bei der Beschäftigung mit den ostdeutschen Filmen auf „eine immense Vielfalt in den Biografien und den künstlerischen Ansätzen“ gestoßen zu sein, „die ich niemals für möglich gehalten hätte“. Was zur Gegenfrage der Filmemacherin und Produzentin Annekatrin Hendel („Vaterlandsverräter“, „Familie Brasch“) führt: „Wie kann man denn darauf kommen - und das ist das Kernproblem -, dass es keine Vielfalt gab? Mir würde das niemals einfallen zu sagen, die Filme sind alle ein Ding.“

Auch wenn man nichts von randständigen Geschichten weiß, könnte man so demütig sein, zu ahnen, dass Geschichten eben nicht wegen ihrer Randständigkeit monolithisch oder eindimensional sind.

Hendel sagt auch noch: „Aber das ist ja nichts Neues für uns.“ Daraus spricht die Erfahrung, mit jedem Mal wieder neu entdeckt zu werden. Eine Wahrnehmung, die den Blick auf die Kunst verstellen kann, wie am Beispiel der Experimentalfilmerin Gabriele Stötzer spürbar wird.

Die Einsamkeit einer Afro-Deutschen

Deren Erfurter Künstlerinnengruppe ist die Ausstellung mit dem tollen Titel „Hosen haben Röcke an“ (noch bis zum 30. Januar in der NGBK, Oranienstraße 25) gewidmet. Über Stötzers Arbeiten schreibt Cornelia Klauß, dass diese erst ab 2013 in einer Linie mit Valie Export, Yoko Ono und Marina Abramovik gelesen würden, wo vorher - und durchaus auch danach - das Bild der politischen Künstlerin dominierte, die nur in der Dissidenz zum SED-Regime begriffen werden kann. Stötzer selbst scheint die Konjunkturen des Interesses an ihren Positionen gelassen zu nehmen: „Wenn die Leute jetzt meine Ausstellungen sehen, denken sie, das ist Gegenwartskunst.“

Solche Bemerkungen deuten darauf hin, wo ein Buch wie „Was wir filmten“ eben seinen Sinn im Heute hat. Geschichte kontextualisiert sich nach 30 Jahren zwangsläufig anders als nach 20 oder zehn. Mag das Vorwort auch mit etwas schwergängigen Vokabular daherkommen, so ist die Idee, das Schaffen ostdeutscher Filmemacherinnen nunmehr unter einem Begriff wie Diversität anzuschauen, zweifellos von Belang. Und deshalb erzählt im Abschlussgespräch nicht nur die Kuratorin und Filmemacherin Grit Lemke („Gundermanns Revier“), wie absurd es ist, als Zeitzeugin Programme an Schulen zu eskortieren, die Bully-Herbig-Filme wie „Ballon“ zeigen.

Es redet etwa mit Ines Johnson-Spain auch eine Filmemacherin mit, die in der „Fremdzuweisung“ des DDR-Wir ein Ich behauptet, das davon gemeinhin nicht gemeint wird. Johnson-Spain hat mit dem Dokumentarfilm „Becoming Black“ (2019) ihre Geschichte als Afrodeutsche erzählt, die von der Einsamkeit handelt, in einer Welt aufzuwachsen, die keine Begriffe für ein Leben wie das ihre hatte.

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„Kollektiv erinnern, das funktioniert für mich nur, wenn multiperspektivisch erzählt wird“, sagt auch die 1992 geborene Thanh Nguyen Phuong, deren dokumentarischer Kurzfilm „Sorge 87“ (2018) an die Perspektive der vietnamesischen Vertragsarbeiter erinnert. Die Bedeutung dieses Beitrags erzählt sie am Beispiel einer Vorführung auf einem Festival, bei der ihre Eltern anwesend waren: „Das war für sie so krass - und für mich eigentlich auch -, dass sie sich selbst auf der Leinwand sehen und im Kinosaal hören konnten. Überhaupt Vietnamesisch zu hören heutzutage in einem deutschen Kino, und dann mit ihrer Stimme.“

Auch hier gibt es einen historischen Hintergrund, wie der Text von Angelika Nguyen illustriert. Die Filmemacherin schreibt darin über die Produktion und Rezeption ihres 1991 gedrehten Halbstünders „Bruderland ist abgebrannt“. Ein Film, der möglich geworden war in den Wirren des Neubeginnens nach dem Ende des DEFA-Studios, in dem die Regisseurin gearbeitet hatte - und den das Fernsehen damals nie zeigte. Er wurde dennoch zu einem wichtigen Dokument der vietdeutschen Geschichte: „Auf gewisse Art war der Film trotzdem erfolgreich - im Verborgenen der Vereinsräume migrantischer Selbstorganisationen, in kleinen Initiativen und Projekten, in den Communitys, in denen vor allem Ost-Berliner Vietnames*innen dem Film aufmerksam folgten.“

Um später, nach der Selbstenttarnung des NSU und weiterer Neonazi-Morde durch Festivals und Retrospektiven größerer Sichtbarkeit zu erfahren. Beziehungsweise: um fällige Nachhilfestunden zu verschaffen. Und so den Blick auf die Kontinuität rechter Gewalt zu justieren, um es mit Herausgeberin Schiel zu sagen.

Matthias Dell

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