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Top in Form: Mick Jagger in der Waldbühne

© dpa/Soeren Stache

Die Rolling Stones in der Berliner Waldbühne: Sommermärchen mit Mick Jagger

Es war heiß. Und es war wunderbar: Die älteste und beste Rockband der Welt begeistert zum Abschluss ihrer „Sixty“-Jubiläumstour in Berlin.

Als Encore spielen sie an diesem Mittwochabend „Sympathy For the Devil“ und „(I Can’t Get No) Satisfaction“, zwei ganz dicke Nummern. Aber sollte man nicht diese ganze „Sixty“-Jubiläumstour durch Europa mit ihrem Finale in Berlin als Zugabe betrachten? Sind die Rolling Stones nicht einen Punkt angelangt, wo alles bereits Bonus ist?

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Bob Dylan kommt mit 81 im Oktober auch noch einmal zu uns auf seiner „never ending tour“, doch das ist etwas anderes. Die Rolling Stones haben als Band überdauert, die große Arenen füllt und Massen bewegt, immer noch. Für ihre Verhältnisse bietet die Waldbühne einen vergleichsweise intimen Rahmen – was für ein Glück für das Publikum! Ob man ihnen jemals wieder so nahe sein wird?

Lob für Currywurst und Hackepeterbrötchen

Rock erscheint wie eine große Relativität. Als die Rolling Stones 1982 in der Waldbühne auftraten, vor vierzig Jahren und zu ihrem 20. Geburtstag, hatte man das Gefühl, dass da gewisse Alterungsprozesse im Gang waren. Mick Jagger war Ende Dreißig, in der damaligen, vom Punk geprägten Zeitrechnung eine stolze Zahl für einen Rockstar. Da gab es die Beatles schon lange nicht mehr, Led Zeppelin hatten sich aufgelöst, und andere Dinosaurier wurden immer trauriger.

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Seitdem waren die Stones immer mal wieder in Berlin, in Weißensee und im Olympiastadion, in der Waldbühne zuletzt 2014 – an einem glutheißen Juniabend. Dem Flughafen BER im Bau widmete Mick Jagger seinerzeit den Song „Waiting On a Friend“. Und auch jetzt wieder bringt er einen BER-Witz („Ein Schnäppchen für sieben Milliarden Euro“). So vergehen die Jahre und Jahrzehnte.

Am Montag sind sie dort gelandet. Airports öffnen und schließen, aber die Rolling Stones heben mit großer Präzision ab. Ohne Verspätung.

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Mick Jagger macht überhaupt viele Ansagen auf Deutsch, über das Lob von Currywurst und Hackepeterbrötchen – seit wann isst er Fleisch? – bis zur Feststellung, das alles sei ein „Sommermärchen“. Das ist es auch. Sie widmen die Show ihrem im vergangenen Jahr verstorbenen Drummer Charlie Watts.

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Zwei satte Stunden Gitarrengewitter mit Keith Richards und Ron Wood und Mick Jagger als Animateur. Wenn man es mit einem Wort sagen will: sensationell.

Vor ein paar Tagen feierte Jagger seinen 79. Geburtstag. Er rennt auf der Bühne kürzere Strecken, hampelt weniger herum, das macht sich sogar besser als die Marathonläufe früher. Er muss nicht mehr beweisen, dass er durchtrainiert ist, scheinbar alterslos. Was natürlich Unsinn ist. Sie touren mit sechzig Jahren im Gepäck und stimmen mit vollem Risiko „Out Of Time“ an, einen Hit aus dem Jahr 1966.

Das weite Rund klatscht und singt mit. Wenn die Stones aus der Zeit gefallen sind, dann gilt das für alle hier. Rock ’n’ Roll ist eine Zeitkapsel, ein komfortables Transportmittel. Einst erfunden, um Erwachsene zu erschrecken und zu vertreiben, funktioniert er lange schon als Verbindung über Generation.

Unglaubliche Dynamik: Mick Jagger, Ronnie Wood und Keith Richards beim Auftritt in Berlin
Unglaubliche Dynamik: Mick Jagger, Ronnie Wood und Keith Richards beim Auftritt in Berlin

© Reuters/Lisi Niesner

Aber gilt das nicht für Musik überhaupt, wenn sie einen gewissen Grad an Popularität erreicht hat? Als kürzlich der 86-jährige Zubin Mehta an der Staatsoper „Turandot“ dirigierte, hob fast das Dach ab. Der Maestro hat in seiner langen Karriere dieses Werk von Puccini so oft aufgeführt, dass er es nun richtig krachen lässt. Heavy Metal Unter den Linden vor durchaus gemischtem Publikum.

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Und „Street Fighting Man“ zum Auftakt: Die Waldbühne steht. Niemand hält es auf dem Sitz. Und dann gleich darauf „Tumbling Dice“. Jagger, Richards und Wood kreiseln ganz vorn auf dem Laufsteg, wie die Musketiere.
Eine durchaus neue Erfahrung: Mick Jagger wirkt gelöst und freundlich im ganzen Habitus, nichts Zynisches oder Aggressives liegt darin, er will die Leute mitnehmen, nicht enttäuschen. Die Atmosphäre bekommt etwas Familiäres. Die Stimme hat Kraft für eine Setlist, die aus dem einen oder anderen Klassiker überraschend viel herausholt.

Und immer wieder stimmt der Chor der 22.000 ein. Jagger holt sich die akustische Gitarre, es gibt jetzt „You Can’t Always Get What You Want“ und ein großes Kompliment: „Ihr singt ganz toll.“ Die Rolling Stones fühlen sich wohl in Berlin. Sagt auch Keith Richards, als er seinen Auftritt bekommt mit „Happy“ und Mick Jagger eine Pause.

Das Publikum singt eifrig mit

Das ist schon ein interessanter Wandel, wenn man sich in den Reihen umschaut und die Menschen mit Inbrunst schmettern: „But if you try sometimes, you get what you need.“ Was damals altklug klang, ist heute eine Weisheit gelebten Lebens. Der Song stammt aus dem Jahr 1968 und wurde veröffentlicht als B-Seite von „Honky Tonk Women“ – was auch gleich kommt.

Schon das Intro von Keith Richards löst Jubel aus. Es gehört zu den Stücken der Stones, die noch ein bisschen tiefer gehen als der Rest. Gleiches Spiel bei „Start Me Up“. Man hört das Riff schon, bevor Richards in die Saiten greift, dreckig, roh, wohltuend.

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Darryl Jones ist ein fabelhafter Bassist. Bei „Miss You“ tritt er in einen langen, intensiven Dialog mit Mick Jagger. Einer der besonderen Augenblicke dieses Konzerts, bei dem Steve Jordan am Schlagzeug – keine leichte Aufgabe – Charlie Watts würdig vertritt. Die Sängerin Sascha Allen wirft sich mit Mick Jagger in ein wildes Duo: „Gimme Shelter“.

Auf der Videowand laufen Bilder zerschossener, zerstörter Städte. Der Krieg in der Ukraine. „Gimme Shelter“ steht auf der dunklen Seite des Repertoires. Eine Art Memento Mori, das daran erinnert, wie brüchig der Frieden ist.

„Paint It Black“ dagegen wird schon wieder eine Mitsinge- und Wohlfühlnummer. Davon gibt es viele im August 2022 in der Waldbühne. Fast schon ein Beatles-Gefühl. „Jumpin’ Jack Flash“ ist dafür zu laut, die Band dreht noch einmal auf. Mick Jagger packt auch noch ein paar Meter dazu, manchmal ruckt und zuckt er wie Jacko. Kippt zwei Eimer Wasser über die Fans zu seinen Füßen. Seine Jacken und Hemden, die er wegen der Hitze dann doch schnell auszieht, bekommen sie nicht. Die schleudert er sorgfältig nach hinten auf die Bühne, wo große Ventilatoren Kühlung bringen sollen.

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Und dann wird es doch noch gefährlich

Es bleibt sehr warm bis zum Ende. Man nimmt einiges auf sich, um dabeizusein, abgesehen von den knackigen Ticketpreisen. Der lange Weg dorthin, das Warten am Einlass, und die Vorband, die Ghost Hounds, waren sehr Mainstream. Aber wer bis dahin mit den Stones noch nicht sein Glück gefunden hat, bekommt es noch mit einem ausgedehnten „Midnight Rambler“ zu tun.

Mehr zu den Rolling Stones in Berlin bei Tagesspiegel Plus:

Die Dunkelheit bricht herein, am Himmel zeigen sich Streifen von Abendrot, und die Rolling Stones erinnern an ihre Herkunft, den Blues. Man denkt an Filme wie „In der Hitze der Nacht“. Krachend, flirrend, provozierende Verlangsamung. Klare Ansage, dass es bei dieser Band, bei dieser Musik um Sex ging. Da züngelt noch etwas, gefährlich, verführerisch.

Deswegen verurteilten Eltern vor fünfzig, sechzig Jahren diese ganze Kultur: Hätten sie damals gewusst, dass man als Rolling Stone so unglaublich viel Geld machen und so energiegeladen alt werden kann, wäre das Urteil anders ausgefallen. Der jüngste Besucher der Waldbühne an diesem Abend soll übrigens erst sechs Jahre jung gewesen sein. Woran er sich wohl eines Tages erinnert, wenn er es nicht vergisst?

Und dann, wie erwähnt, die beiden Songs mit dem Teufel undsoweiter. War eigentlich fast zu viel, die Pflicht nach der Kür.

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