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Sophiensäle als Vorbild: 150 Jahre Geschichte und nie einen Neubau verlangt

Die Sophiensäle waren einst ein Vereinshaus, sind heute Theaterort und Kulturstätte. Und anders als andere hielten sie an ihrem Gebäude fest. Ein großer Vorteil.

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Am Freitag feierten die Sophiensäle den 150. Geburtstag ihres Hauses. Gebaut wurde es 1905 für den Berliner Handwerkerverein als Versammlungs- und Veranstaltungshaus. Der damals riesige Saal mit 3000 Sitzplätzen, die vielen Nebenräume und Treppenhäuser, der reiche Schmuck signalisierten: Handwerk ist Gold wert. Das gilt bis heute, KI hin oder her.

Selbstverständlich wurde zu diesem Jubeltag auch über die kulturelle und wirtschaftliche Bedeutung von Kunst und Theater, Tanz und Debatte diskutiert, und über das in dem Bau angesammelte kulturelle Kapital.

Schon der Handwerkerverein ließ hier eine Bibliothek einrichten, große Veranstaltungen organisieren, die sogar als „sozialistisch“ galten. Hier fand vom preußischen Staat skeptisch betrachtetes jiddisches Theater statt. Das Haus war damit eine Schwester der Arbeiter- und Volkshäuser sozialistischer, evangelischer, katholischer, jüdischer Vereine, die seit etwa 1870 als Alternative zu bürgerlichen Philharmonien, Staatsbibliotheken und Kunstmuseen entstanden. Allerdings blieben die Handwerker bei einer strengen märkischen Industrie-Neugotik mit prachtvoll glasierten Ziegeln am Eingangsportal. Was dem Bau, der seit 1950 vom Maxim-Gorki-Theater genutzt wurde, vielleicht auch das Überleben in der DDR möglich machte.

Kein Prunk, sondern solide Neugotik

Drei Aspekte dieses Jubiläums sind jenseits aller Kulturfreude bemerkenswert. Die in den Sophiensälen angestrebte Mischung aus Wohnen und Kultur ist ein Modell für die kommende Stadt, möglich erst, weil die Bauregeln des 19. Jahrhunderts dichte Bebauung und extrem flexible Grundrisse erlaubten. Heute dürfte man so etwas nicht bauen.

Wir sollten also die Regeln ändern. In mehrfacher Hinsicht. Denn auch dieser öffentliche Palast der Handwerks- und der Theaterkunst ist in privatem Besitz. Zurzeit werden kulturangemessene Mieten verlangt. Aber die Verträge können sich jederzeit ändern. Das Schicksal des Schwuz, des Tacheles, unzähliger Traditionscafés und -restaurants, Kultur- und Kunstorte oder auch der Atelierkultur Berlins zeigen: Wir brauchen endlich eine Regelung der Gewerbemieten, die neben den Interessen der Vermieter auch die der Stadtgesellschaft berücksichtigt. Sonst verarmen erst die Kultur, dann die Vielfalt der Innenstadt, schließlich die Wirtschaft Berlins.

Wer ein Beispiel sucht, warum Umbau besser ist als Neubau, blicke auf die Sophiensäle. Schon der Handwerkerverein ließ hier bestehende Wohnhäuser weiterbauen. Und seitdem wird immer weiter gebastelt. Unsere Abriss- und Wegwerfkultur dagegen schadet nicht nur dem Klima. Sie ist auch kulturell ein Verlust. Glückwunsch also an die Sophiensäle, dass sie trotz ihres weltweiten Renommees nie einen Neubau verlangten.

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