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Innerstes nach außen gekehrt. Maria Lassnigs Ölgemälde „Selbstporträt mit Ordenskette“ von 1963.

© Maria Lassnig Stiftung/Foundation / VG Bild-Kunst Bonn 2022

Spät entdeckt: Maria Lassnigs Kunst : Alle meine Herzensfarben

Coup im Gutshaus Steglitz: Die österreichische Malerin Maria Lassnig wird mit einer eindrucksvollen Einzelausstellung gefeiert.

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Wer mit Helmut Klewan spricht, der fühlt sich bald wie im Innern einer Datenbank. Klewan rattert Zahlen herunter, als würde er Auktionskataloge und nicht Kunst sammeln. Noch im Schlaf könnte er wohl die Preise zitieren, für die „damals“ Bilder von Maria Lassnig verkauft wurden - und was sie aktuell kosten. Wenn man noch eines bekommt! 

Der Mann hat selbst mit dem Werk der österreichischen Spätzünderin gehandelt. Klewan war viele Jahre lang Galerist, da kennt man die mühselige Vermittlung von Außenseiterpositionen aus eigener Anschauung. Ähnlich, grantelt er nach österreichischer Art , sei es ihm mit Cy Twombly und Arnulf Rainer gegangen.

Niemand habe ihre Werke gewollt, als er in den siebziger Jahren eine Galerie in der Wiener Dorotheengasse hatte. Irgendwann in den Achtzigern, die Galerie war da bereits nach München umgezogen, schrieb ihm Maria Lassnig nach einer erfolglosen Ausstellungseröffnung eine Postkarte zum Trost.

Helmut Klewan kann sich aber auch glücklich schätzen. Der schleppende Verkauf macht ihn zu einem der wichtigen privaten Sammler. Einiges hat er später zurückerworben und nun erstklassige Kunst jener Protagonist:innen im Portfolio, nach denen sich heute jedes Museum verzehrt.

Gemälde von Twombly wie von Lassnig - beide verstorben - haben die Grenze von einer Million Euro längst überwunden. Und Klewan zeigt im Gutshaus Steglitz neun Lassnig-Arbeiten in Öl auf Leinwand; dazu Aquarelle und Zeichnungen.

Die von Brigitte Hausmann kuratierte Ausstellung ist ein echter Coup des kommunalen Hauses. Man muss schon ein Vierteljahrhundert zurückschauen, um in Berlin die letzte institutionelle Soloschau der Künstlerin zu entdecken. Dabei ist die 1919 in Kärnten Geborene in der Zeit danach immer noch berühmter geworden.

Rotgesichtige Grimassen

Ihre verzerrten Selbstporträts, die rot- und grüngesichtigen Grimassen galten nicht länger als morbide Fantasie einer eigensinnigen Malerin, sondern wurden als expressive Selbsbeschreibung einer Feministin verehrt, die ihr Inneres nach außen kehrt.

Zu Lassnigs berühmtesten Motiven zählt „Du oder Ich“ aus dem Jahr 2005: Die nackte, sichtlich ältere Maria Lassnig steht in der Pose eines Cowboys vor weißem Hintergrund und hält zwei Pistolen in den Händen. Die eine hat sie auf den Betrachter gerichtet, die andere zielt auf ihren eignen Kopf.

In Steglitz hängt mit „Wildwestselbstporträt“ (1983) eine mit dem Bleistift ganz fein ausgearbeitete Vorlage zu jenem Bild. Ansonsten setzt die Ausstellung mit dem Titel „Maria Lassnig. Werke aus der Sammlung Klewan“ andere Akzente. Sie demonstriert Lassnigs sarkastischen Humor, wenn sie auf einer Kohlezeichnung ihr Gesicht mit schwarzen Pünktchen übersät und das Blatt „Ich rasier mich nur einmal am Tag“ (1981) nennt.

Es spricht ein tiefes Sentiment aus Motiven wie „Großmutter und Großvater als Embryo“, wo zwei amorphe Wesen einander umkreisen und sich gegenseitig nähren. Frühe Arbeiten der französischen Künstlerin Louise Bourgeoise fallen einem dazu ein, die ihre Familie ähnlich emotional zum Thema machte.

Und wenn Lassnig sich auf einer zarten Zeichnung als schlafendes Kind darstellt, auf dessen Nase ein leuchtend farbiger Schmetterling gelandet ist, möchte man fast nicht mehr an ihre legendäre Kratzbürstigkeit glauben. Bis Klewan erzählt, er habe dieses Blatt - als einziges in all den Jahren inniger, mitunter schmerzhafter Zusammenarbeit - von ihr mit den Worten geschenkt bekommen: Du magst doch Kitsch!

Ausdruck des Erlebens

Das ist es natürlich nicht, sondern Ausdruck eines tiefen Erlebens, das in allen hier versammelten Werken zum Ausdruck kommt. Maria Lassnig mag sich malerisch ununterbrochen analysieren, aber sie ist ebenso Körper. „Die Stirn bekommt eine Gedankenfarbe, die Nase eine Geruchsfarbe, Arme und Beine Fleischdeckenfarbe; es gibt Schmerzfarben und Qualfarben“, wird sie im Text zur Ausstellung zitiert.

Ihr Leib leuchtet auf diversen Darstellungen nicht bloß feuerrot, er bekommt überdies die Form eine Möbels verpasst. „Sesselselbstporträt“ heißt ein Bild von 1968, auf dem Lassnig in unförmiger Gestalt kniet oder schreitet, und es bleibt unklar, ob sie sich selbst (zu) bequem findet oder den Eindruck hat, andere machten es sich auf ihr gemütlich.

Es sind jene frühen Gemälde aus den sechziger Jahren, die allein schon den Besuch im Gutshaus lohnten; Bilder wie „Herzselbstporträt im grünen Zimmer“, „Traum“ oder „Fruchtbarkeit“, wo Lassnig wie ein weiblicher Buddha hockt und augenscheinlich Äpfel gebiert. Das zeichnerische Werk gibt es obendrauf.

1978 kam die Künstlerin nach langen Aufenthalten in Paris und New York mit einem DAAD-Stipendium nach Berlin. Zahlreiche Stipendiat:innen blieben anschließend in der Stadt, doch Lassnig nutzte das Jahr für Wahrnehmungsstudien und kehrte nach Wien zurück - genau richtig, denn dort bot man der damals 60-Jährigen die erste Professur für eine Malerin im deutschsprachigen Raum an.

Auftritte auf der Documenta in Kassel, internationale Ausstellungen, Auszeichnungen etwa mit dem Rubens- und dem Max-Beckmann-Preis 2004 folgten. Obwohl Maria Lassnig, die zehn Jahre später mit 95 starb, ihre Kunst überhaupt nicht nach draußen lassen wollte. Auch das weiß ihr Galerist-Chronist nur zu gut.

Die lange Freundschaft, stöhnt Klewan, sei auch ein großer Kampf gewesen. „Man musste ihr jedes Bild abschwatzen. Das Bewusstsein, ein Bild nicht mehr zurückzubekommen, war für sie unerträglich.“ Jedenfalls war ihre Arbeit bei ihm in Händen, die ebenfalls gut festhalten können.

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