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Rieven (Ruben Niborski, 2. v. r.) und sein Vater Menashe (Menashe Lustig, rechts).

© Yoni Brook

Spielfilm "Menashe" im Kino: Ein Vater kämpft um seinen Sohn

Ein jüdisch-orthodoxer Witwer kämpft in Joshua Z Weinsteins „Menashe“ darum, dass sein Sohn bei ihm lebt. Der Film wurde auf Jiddisch gedreht.

So ein Schlamassel! Der Witwer Menashe (Menashe Lustig) ist sorgenschwer: Er will, dass sein Sohn Rieven (Ruben Niborski) bei ihm lebt. Der Rabbi (Meyer Schwartz) hat aber angeordnet, dass Menashe zuvor eine neue Frau finden muss, „eine, die deinen Haushalt führt und die Wohnung sauber hält“.

Menashe verprellt die vom Matchmaker vermittelte Aspirantin aber schon beim ersten Treffen. Dann holt er seinen Sohn von der Schule ab, nimmt ihn mit zur Arbeit und später nach Hause, kauft ihm ein Küken zum Spielen, hängt ihm ein absurd düsteres Rabbiner-Gemälde als Deko über das Bett und will ihn nicht mehr zurückbringen. „Ein Kind muss zu seinem Vater“, begründet Menashe das trotzig gegenüber seinem Schwager, in dessen großer Familie Rieven nach dem Tod seiner Mutter untergekommen war.

Doch die Mischpoke des ungelenken rothaarigen Mannes aus der chassidischen Enklave Borough Park in Brooklyn, New York, ist anscheinend genauso dickköpfig wie er. So bahnt sich zum ersten Todestag von Menashes Frau die nächste Katastrophe an. Denn Menashe will in seiner kleinen Wohnung und nicht im großen Haus des Onkels feiern. Dabei hat er doch noch nicht mal ein amtliches Kugel-Rezept für das Fest, oy vey, oy vey!

Der Hauptdarsteller hat einen eigenen Youtube-Kanal

Der fast vollständig in jiddischer Sprache gedrehte erste Spielfilm des Dokumentarfilmers Joshua Z Weinstein öffnet die Tür zu einer versperrten Welt: Chassidische Juden bleiben normalerweise strikt unter sich. Dass ein nicht-orthodoxer jüdischer Filmemacher ihnen so nahe kommen, gar einen aus ihrer Mitte als Protagonisten verpflichten und mit einer gemischten Crew in Teilen der Gemeinde drehen konnte, ist eine Sensation. Weinstein schaut mit einem liebevoll-dokumentarischen Blick auf seine Figuren – er konnte sie ohnehin nicht komplett inszenieren, denn er spricht kein Jiddisch und gab ihnen darum nur Handlungsanweisungen für die Szenen, die sie selbst in ihre Sprache übersetzten.

Die meisten Komparsen kommen zudem ebenfalls aus Borough Park. Der Hauptdarsteller Menashe Lustig, nach dem der Film benannt ist, stammt aus New Square, einem für Gojim, also Nicht- (oder nicht-gläubige) Juden unzugänglichen 7800-Einwohner-Örtchen im Bundesstaat New York, das als eine der ärmsten Gemeinden im Bundesstaat gilt. Auf ihn aufmerksam wurde der Regisseur durch den Youtube-Kanal, den Menashe betreibt. Dort führt er etwa stampfend einen „Mitzvah-Tanz“ auf oder gibt ulkige „ratsame Hygiene-Tipps“: beim Ohrenputzen bloß nicht den Finger oder ein Q-Tip verwenden.

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Die kleine Geschichte, die Weinstein in nahen, authentischen Bildern erzählt, ist dafür umso universaler: Es ist das Drama der Kluft zwischen Tradition und Moderne, zwischen Familie und persönlichem Willen. Menashe ist kein typischer Außenseiterheld, der sich freistrampeln und eine Coming-of-Age- Entwicklung durchmachen muss. Eher ist er ein weltfremder Trottel, der seine wenigen Chancen ständig vermasselt, der sich unverantwortlich zeigt, wenn es drauf ankommt; der weder mit der eigenen noch mit der Trauer seines Sohnes angemessen umgehen kann. Doch Menashe schafft, während er sich uneitel und leidenschaftlich durch den Film und seine Probleme schwitzt, im Laufe der Geschichte eine Verbindung nach draußen, in die Herzen nicht-orthodoxer, nicht-religiöser Zuschauer. (Die Chassiden werden den Film nur heimlich schauen können.)

Menashes Ehe war unglücklich

Denn eigentlich will Menashe – auch im wahren Leben Witwer mit Kind – nur, was alle Eltern wollen: dem Kind den Lebensweg ebnen. Das liest man in seinem tropfenden, offenen Gesicht, den tollpatschigen Bewegungen seines schweren Körpers, und in seinen Bemühungen, ein „guter Vater“ zu sein. Was ihn umtreibt, lässt Menashe nur langsam heraus: „Du bist Single, du kannst tun, was du willst!“, sagen die Latinos, die mit ihm im Supermarkt arbeiten, beim Feierabendbier im Lagerraum. Menashe erzählt daraufhin, wie schwer ihm alles fiel, weil er mit dem „Shidduch“, dem „Matchmaking“, das ihm seine verstorbene Frau verschafft hatte, nicht einverstanden und die Ehe keine glückliche war.

Dass er dieses private Problem auf Englisch beschreibt, ist mehr als ein notgedrungener Kommunikationskompromiss. Und eine unbewusste Distanzierung: Auf Jiddisch könnte er eh mit niemandem darüber reden, denn in seiner isolierten Gemeinschaft darf er nicht ausdrücken, dass er so empfindet.

So schafft der Regisseur es, die Regeln der Gemeinde, die tatsächlich das Kind vom Vater trennen würde und an arrangierten Ehen festhält, nicht zu bewerten, sondern sie zu benutzen, um das Handlungsdilemma zu verstärken. Weinstein stellt niemanden aus, sondern eine Situation dar. Sein Blick ist dabei zwar allein auf den Mann gerichtet – mögliche Probleme einer zu Sohn, Synagoge, Strudel verdammten Chassidin lassen sich aber erahnen. Am Ende ist der Grund für Menashes Dilemma egal, genau wie mögliche Lösungsvarianten: Wäre er außerhalb seiner Gemeinde glücklicher? Oder unglücklich und einsam? Was zählt, das zeigt Weinstein eindrücklich, ist allein die Empathie, die man für einen sehnsüchtigen Vater empfindet. Den auch der Rabbi an der Wand nicht vergessen lässt, wie sehr er seinen Sohn vermisst.

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