zum Hauptinhalt

Kultur: Stille Partnerin

Die Designerin im Schatten des Baumeisters: Lilly Reich und Mies van der Rohe in Krefeld

Stand:

Architektur ist Männersache, bis heute. Obwohl an deutschen Architekturfakultäten längst so viele Frauen wie Männer studieren und der weibliche Anteil in den Büros stetig wächst, wird bei aufsehenerregenden Projekten meist nur der Name eines Mannes genannt.

Wie vor achtzig Jahren. Damals fanden Ludwig Mies van der Rohe und Lilly Reich zusammen. Bis zu Mies’ Emigration 1938 waren die beiden beruflich und privat ein Paar. 1939 hat Reich Mies ein letztes Mal in Chicago besucht. Gemeinsam gab man, wie schon am Dessauer Bauhaus, Kurse am später berühmten Illinois Institute of Technologie. Einige von Mies’ amerikanischen Studenten erinnerten sich der außergewöhnlichen Achtung, die der an seiner Zweitkarriere bastelnde Baumeister der deutschen Ex-Partnerin entgegenbrachte. Tenor der Beobachter: „She was ,verry verry good’.“ Lilly Reich war vermutlich der einzige Mensch, auf den der Eigenbrötler Mies je gehört hat. Das hinderte ihn nicht daran, ihre Hilferufe nach Kriegsende zu überhören. Reich starb 1947 verarmt und vereinsamt in Berlin. Und Mies verstand es – mit Unterstützung einer teils bis heute unkritischen Forschung –, ihren Anteil am gemeinsamen Werk zu verschweigen.

Eine Ausstellung der Krefelder Kunstmuseen versucht nun, am konkreten Beispiel beiden Künstlern gerecht zu werden. Im Sommer 1927 beauftragten die befreundeten Textilunternehmer Hermann Lange und Joseph Esters den Architekten und die Designerin, auf benachbarten Parkgrundstücken nahe des Krefelder Stadtwalds zwei Villen zu bauen und auszustatten. Die Fertigstellung der beiden dunkelrot-verschachtelten Backsteinkuben zog sich bis Herbst 1930 hin. Kurz zuvor hatten Mies und Reich, dank der Vermittlung Langes, für die Ausstellung „Die Mode der Dame“ in Berlin mittels Stoffbahnen und Stahlrohrmöbeln das Café „Samt und Seide“ inszeniert. Sechs weitere Aufträge von Lange (als Privatmann, als Gesellschafter einer Seidenfirma oder als Lobbyist der deutschen Textilindustrie) an das Künstlerduo folgten bis 1938, noch einmal fünf hat Lilly Reich allein bearbeitet.

Planungs- und Bauzeit der Häuser Lange und Esters fallen mit einer Wende in Mies’ Werk zusammen: weg von traditionellen, durch Wände und Türen abgegrenzten Zimmern; hin zu fließenden Räumen à la Barcelona-Pavillon. Doch weder Lange noch Esters wollten Mies’ Avantgarde-Konzept rückhaltlos folgen. Beide forderten klar konturierte Räume, um den Repräsentationspflichten großbürgerlicher Haushalte zu genügen. Und für Langes Kunstsammlung waren Wandflächen gefragt. Er besaß Bilder von Kandinsky, Marc und Chagall; sein Prunkstück war Ernst Ludwig Kirchners „Potsdamer Platz, 1914“, heute in der Berliner Nationalgalerie. Die Möblierung sollte die Kunst unterstützen, nicht dominieren.

Inzwischen werden die vor ein paar Jahren vorbildlich restaurierten Krefelder Häuser als Dependancen des Kaiser-Wilhelm-Museums für Ausstellungen zeitgenössischer Kunst genutzt – und damit auf die Anmutung eines white cube reduziert. Nun kehrt mit „Mies van der Rohe und Lilly Reich. Möbel und Räume für Hermann Lange“ zumindest im Haus Lange ein Hauch der Erbauungszeit zurück. Die Kunsthistorikerin Christiane Lange, eine Urenkelin Hermann Langes, kann auf etliche im Familienbesitz erhaltene Tische, Sessel, Sofas, Regale und Betten der Ersteinrichtung zurückgreifen: nicht nur aus Haus Lange, sondern vor allem aus einer Wohnung, die sich Mildred Crous, älteste Tochter Hermann Langes, und ihr Mann von Mies und Reich 1930 in Berlin einrichten ließen.

In der Familienüberlieferung der Langes gilt Lilly Reich bis heute als „die Innenarchitektin“. Nicht gemeint ist damit die ausschließliche Rolle als Spezialistin für Stoffe und Farben. Christiane Lange, die die Schriftzüge unsignierter Originalentwürfe forensisch auswerten ließ, kann bei etwa einem Drittel aller ausgestellten Entwürfe Lilly Reichs Beteiligung nachweisen. Zu den ihr neu zugeschriebenen Stücken gehören Stilikonen wie das bis heute unter dem Namen des Meisters produzierte „Daybed“. Harte Gummiriemen justieren Lederpolster, unvermittelt stoßen Edelholz und Stahl zusammen. Ein ziemlich „männliches“ Stück Design.

Krefeld, Haus Lange, Wilhelmshofallee 91. Bis 3. Juni. Katalog (Hatje Cantz) im Museum 29 €, im Buchhandel 39,80 €.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
console.debug({ userId: "", verifiedBot: "false", botCategory: "" })