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Kultur: Streicheln Sie das grüne Kaninchen!

Kunst ist schwer zu definieren, auch die Grenzen der Wissenschaft sind nicht immer leicht zu ziehen. Aber was um Himmels willen soll man sich unter "WissensKünsten" vorstellen?

Kunst ist schwer zu definieren, auch die Grenzen der Wissenschaft sind nicht immer leicht zu ziehen. Aber was um Himmels willen soll man sich unter "WissensKünsten" vorstellen? Zur Begriffsfüllung hat das Zentrum für Literaturforschung Berlin im Hamburger Bahnhof eine Vortragsreihe anberaumt. "WissensKünste" wollen, darauf deutet die Schreibweise hin, weder eine Lücke lassen zwischen Kunst und Wissen noch in einen Abgrund sehen. "Die Trennung entspricht nicht mehr den Realitäten", so Sabine Flach, die mit Sigrid Weigel die Reihe konzipiert hat. "Wir wollen Schnittstellen zwischen Kunst und Wissenschaft finden und neu besetzen". Und wer könnte besser in das Thema "Die zweite Schöpfung - Genetik und Religion" einführen als der Begründer der "transgenen Kunst", der Amerikaner Eduardo Kac. Dem breiteren Publikum wurde er bekannt als Schöpfer des grün leuchtenden Kaninchens, das seine Ausstrahlung einem manipulierten Gen verdankt. Allerdings steht laut Kac die Genmanipulation als technischer Akt nicht im Vordergrund seiner Arbeit. Auch gehe es ihm nicht um Frankenstein-Schauder. Sein Werk eröffne eine "neue Erfahrungsebene", eine "Kommunikation zwischen den Arten, das heißt mit dem Anderssein. Meine Kunst ist eine dialogische Kunst und will eine neue Ebene der Verständigung und des Verständnisses finden. Das Kaninchen-Werk ist erst dann vollendet, wenn man das Tier in den Arm nimmt und streichelt."

Laborkunst als Streichelkunst? Das verblüfft. Ebenso erstaunt die "multiple Subjektivität" des Kunst gewordenen Kleinviehs, denn grün erscheint es nur in einem speziellen Blaulicht und wenn der Betrachter durch einen gelben Filter schaut. "Im normalen Licht ist es ein ganz normales Kaninchen", so Kac. Ist das die menschliche Hybris, von der die Kritiker der Gentechnik mahnend sprechen? Jochen Hörisch, Literatur- und Medienwissenschaftler aus Mannheim, scheint zur neuen Technik ein entspanntes Verhältnis zu haben. Im Grunde sei alles und schon immer Gen gewesen. Die dem Griechischen entstammende Silbe "Gen", "so ehrwürdig wie aktuell", sei in fast jeder Sprache anzutreffen: Angefangen bei den Genitalien, mit den man eine neue Generation hervorbringt, die aus Ingenieuren, Genies, Generälen besteht Kurz: Gen ist nicht nur eine "sphärenübergreifende Silbe", sondern steht auch für das "älteste Projekt der Gattung: das Konversionsprogramm". Man denke an den Gestaltwechsel Gottes zum Menschen. Gentechnik als göttlicher Wunsch? Nach der Bibel jedenfalls sei das "Fortzeugungsprogramm den Sterblichen überlassen".

Ob der Molekularbiologe Jens Reich die Biologie auch als künstlerisches Produktionsmittel schätzt, wurde nicht klar. Zumindest kann er sich vorstellen, dass die Biologie in der Kunst einen neuen Verbündeten findet, nachdem sich "die Religion vom Leben endgültig getrennt" hat. Als Religionsersatz jedenfalls sei die Biologie nicht mehr geeignet: "Jedes Geheimnis ist entschleiert, alles ist berechenbar". Der Biologie verdanken wir es auch, dass die Gene für künstlerisches Talent im Grunde "überflüssig" sind, als "Nebenbefunde der Evolution."

Für Kac mit seinen "überflüssigen" Kunst-Genen ist die Trennungslinie zwischen Kunst und Wissenschaft schon lange nicht mehr existent. Die Grenze stehe für eine begrenzte Wahrnehmung. Das grüne Kaninchen könne das Bewußtsein für die Durchlässigkeit solcher Grenzen schärfen. Zeigt sich doch, dass alles, was wir erkennen, von unseren Sinnesorganen und den Licht-Umständen abhängt. Es ist nichts - nur!- so, wie es scheint: Wir Menschen glauben zum Beispiel, wir würden nicht leuchten, strahlen aber infrarote Wellen aus. Für andere Lebewesen seien wir "leuchtende Klumpen." Gleichwohl ist das grüne Kaninchen mehr als ein Kunstwerk, das uns die Augen öffnen soll. Es markiert den Beginn der Epoche des klonbaren Kunstwerks. Bisher konnte man Kunstwerke zwar kopieren, aber nicht klonen. Diese Zeiten sind nun endlich auch vorbei.

Tom Heithoff

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