zum Hauptinhalt
Das Tacheles in Berlin-Mitte in den Neunzigern.

© dpa/Peer Grimm

Symbol der Gentrifizierung: Am Tacheles zeigt sich das neue Berlin

In den Jahren nach dem Mauerfall war die Kunst hier wild und frei. Dass ins einstige Tacheles nun ein Foto-Museum eingezogen ist, macht unseren Gastautor stutzig.

Von Jochen Sandig

Stand:

Berlin hat ein neues „zeitgenössisches Museum der Fotografie, Kunst und Kultur.“  Ein Dreiklang, der mich stutzig macht. Ein Museum der Fotografie ist erwartbar in einem Gebäude, das sich „Fotografiska“ nennt und höchste Instagrammability für Individuen und Besuchergruppen bietet. Es ist ja alles so schön bunt hier im Treppenhaus und den ehemaligen Atelieretagen. Hier kann sich jede und jeder wunderbar selbst inszenieren und mit einem Glas in der Hand durch die Räume schlendern.

Das Kunsthaus war ein Ort der flüchtigen Künste

Viel wird gerade auch über die alten Graffiti diskutiert und wie aufwändig sie denkmalgerecht erhalten wurden. Jetzt werden auf Druck des Tacheles-Archivs auch noch Beschriftungen angebracht.

Dabei wird das Wesentliche unterschlagen: Das Tacheles in der Oranienburger Straße war immer auch ein Ort der flüchtigen, der vergänglichen und der zeitbasierten Künste. Unvergessen sind die Performances, Tanzaufführungen, Theaterexzesse und Konzerte, die durchtanzten Nächte in der Ständigen Vertretung, dem ersten Technoclub im Osten Berlins, eröffnet noch vor dem Tresor. Auch mit digitalen Medien wurde bereits früh experimentiert.

Legendär die Kunstaktionen drinnen und draußen auf der Freifläche mit Feuer, Wasser, Erde, Luft. Es waren die endzeitlichen und neuzeitlichen Rituale für all diejenigen, die sie dereinst miterleben durften in den frühen 1990er Jahren, bevor das Tacheles dann immer mehr das eigene zuckende Vakuum zelebrierte und in sich selbst erstarrte.

Brutkasten wilder Ideen

„How long is now?“ stand lange Zeit an der Brandmauer des internationalen Kunsthauses. Das Jetzt kann man nicht festhalten, es verflüchtigt sich in jedem Moment aufs Neue. Das Medium der Fotografie hilft, uns über das Vergängliche hinwegzutäuschen. Die Fotografie friert ein, sie hält einen Augenblick fest. Aber sie kann weder das endliche Leben ersetzen, noch das Erleben weiter oder gar zu einem Ende führen. Wer etwas erlebt, durchlebt es auch. Wenn es vorbei ist, bleibt nur noch die Erinnerung.

Bilder und Fotos können die Vergangenheit wachhalten. Aber sie stehen weder für Gegenwart noch Zukunft, auch wenn sie sich als contemporary oder zeitgeistig ausgeben. Und die erhalten gebliebenen Graffiti ändern nichts daran, dass etwas vergangen und verloren gegangen ist. Sie können den Verlust nicht kompensieren.

Höchste Instagrammability in den Innenräumen des Fotografiska.

© AFP/JOHN MACDOUGALL

Wir wissen, dass man die Vergangenheit nicht zurückholen kann. Man könnte, man müsste aber in der Gegenwart etwas Neues erfinden. Einen schöpferischen Akt darf man jedoch von einem „Museum“ kaum erwarten, das wäre ein Widerspruch in sich. Das Tacheles in Berlin-Mitte war ein wilder Brutkasten der Ideen, einer der Inkubatoren des Berlin, das sich nach dem Mauerfall neu erfunden hat.

Heiner Müller bekannte sich zum Tacheles als dem Symbol der wiedervereinigten Stadt. Die Liste der Menschen ist lang, die den Abriss des verbliebenen Torsos der ehemaligen Friedrichstraßenpassage durch ihren amtlichen und ehrenamtlichen Einsatz verhindert haben. Auch sie hätten eine Würdigung verdient.

Auf einen Dialog mit der Gründergeneration wurde verzichtet

Darauf bauen auch die Bauherren. Auf einen Dialog mit der Gründergeneration haben die Investoren, die Architekten und die neuen Betreiber jedoch verzichtet. Die legendäre Vergangenheit wollten sie dennoch nicht ausblenden, ganz im Gegenteil – den materiellen Wert der ideellen Marke „Tacheles“ haben sie sehr wohl erkannt und zielgerichtet eingesetzt.

So markiert eine Täuschung den Akt, ein Investorenareal mit Shopping-Malls, Bürogebäuden und Luxus-Apartments mit schwindelerregenden Quadratmeterpreisen von bis zu 30.000 Euro ausgerechnet unter dem Label „Am Tacheles“ zu vermarkten. Das A wie Anarchie dabei kunstvoll auf den Kopf zu stellen, hat sich eine Agentur ausgedacht, mit dem ziemlich durchschaubaren Ziel, einen möglichen Urheberstreit über das Namensrecht auszuhebeln.

Diese Aneignung eines Begriffs, der einmal für ein weltweit bekanntes utopisches Projekt stand, ist gleichzeitig anbiedernd und unsäglich. Und wie man hört, erfreut es auch die neuen Mieter nicht, denn sie wollen hier jetzt ihre eigene Identität zelebrieren. Dann sind sie vielleicht mit dem richtigen Konzept am falschen Ort?

Letzte Bauarbeiten vor dem Fotografiska Anfang September.

© AFP/JOHN MACDOUGALL

Eine Idee, etwas wirklich Neues zu wagen an dieser Stelle des Aufbruchs in den Neunzigern, hatten weder die zahlreichen mit dem Projekt verwickelten, namhaften Politiker, die den im Baurecht festgeschriebenen Kulturauftrag mit der Genehmigung einer der Kreativwirtschaft verbundenen Fotografiska-Dependance als erfüllt ansehen, noch die Investoren.

Eine gemeinnützige Stiftung könnte die Fantasie beflügeln

Aber kehren wir noch einmal zum markigen Begriff zurück. Ein „Museum der Kunst und Kultur“ – was könnte das sein? Und wofür könnte das gut sein? Wenn sich Berlin so weiterentwickelt, wie es dieser symbolische Ort im Herzen der Stadt gerade vorlebt, dann werden wir bald wirklich Museen benötigen, in denen kommende Generationen, die vor dem Aussterben bedrohte „Kunst und Kultur“ nur noch museal bestaunen dürfen.

Hier werfen die Menschen dann sentimentale Blicke in eine Vergangenheit, in der freie Räume noch als Labore für Experimente existierten. Und genau das vermisst man schmerzlich im „neuen“ Nutzungskonzept: einen Raum, in dem die Wut, die Angst, die Hoffnung und die Träume von einer besseren Welt ihren alltäglichen Platz haben und nicht nur „Abbild von etwas“ sind. Das Leitmotiv des Tacheles „Die Ideale sind ruiniert, retten wir die Ruine“ hat sich gewandelt in ein abgründiges „Die Ruine wird idealisiert, ruinieren wir die Rettung.“ 

Ich wünsche mir Bauprojekte, in denen „Kunst und Kultur“ nicht zu hohlen Begriffen mutieren, sondern deren Akteure als kreative Partnerinnen und Partner aktiv und integrativ beteiligt werden. Und zwar von Anfang an und nicht, wenn das Kind bereits in den Brunnen gefallen. Hoffen wir, dass „Am Tacheles“ bei den Berliner Kulturpolitikern einen heilsamen Schock auslöst und nicht zum Modellprojekt wird und weitere stadtökonomische und ästhetische Fehlentwicklungen in Berlin begünstigt.

Die Investoren können auch einen Beitrag leisten. Es steht ihnen frei, das namensgebende Gebäude nachhaltig in eine gemeinnützige „Tacheles Foundation“ zu überführen. Das wäre ein Überraschungscoup, der die Fantasie am Standort neu beflügeln könnte.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
false
console.debug({ userId: "", verifiedBot: "false", botCategory: "" })