
© Fréderic Batier
Tag 2 bei der Berlinale: Lars Eidinger und die halbnackten BWLer
Es ist nicht leicht, sich bei der Berlinale nicht nahe zu kommen. Im Kino fällt unser Autor fast in fremde Hände. Und bewundert Tilda Swinton als coolste Socke.

Stand:
Diese Herzlichkeit bei der Berlinale ist wirklich einmalig. „Na hast du mir wieder einen Platz neben dir freigehalten?“, fragt eine Frau einen Mann, der in der Kinoreihe vor mir sitzt und sie offenbar schon erwartet. „Na klar, so wie im letzten Jahr“, sagt er zu ihr, erhebt sich mit galanter Geste und schiebt wie nebenbei hinterher: „Weißt du noch meinen Namen?“ Sie schaut ihn kurz etwas länger an: „Matthias, oder?“ – „Hans-Werner.“ – „Na, sag ich doch, irgend so ein alter Name.“ – „Ich rutsch mal einen Platz weiter“, sagt er nun. Während des Films bleibt der Sitz zwischen ihnen frei.
Es ist gar nicht so leicht, sich bei der Berlinale nicht nahe zu kommen. Weil es am Potsdamer Platz kaum noch Kinos gibt, haben sie das Blue Max Theater angemietet, wo sonst blau angemalte Jungs auf Farbeimer eintrommeln. Die Sitze hier sind so schmal und die Treppen so steil, dass man sich zwangsläufig in die Arme fällt. „Ich hab hier meinen Abiball gefeiert, als das noch ein Club war“, erzählt eine Frau, in die ich fast reingestolpert bin. „Es gab auch Käfige mit Go-Go-Tänzern. Aber auf der Tanzfläche waren nur halbnackte BWler und Sekretärinnen.“ Ich fürchte, ich hätte das halbnackt nicht so gut erkannt.
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Den Penis von Lars Eidinger erkenn ich inzwischen von Weitem. Lars muss sich offenbar bei jedem seiner Filme offenbaren. Vielleicht will er eine Art Lebenswette gewinnen; oder er schreibt es als Bedingung in seine Schauspielverträge rein. Im Eröffnungsfilm „Das Licht“ dauert es zehn Minuten, bis sein Pimmel zum ersten Mal über die Leinwand baumelt. Danach tropft der Film trotz guter Ideen und toller Berlin-Bilder im Regen zweieinhalb Stunden vor sich hin. Hart für die Gäste der Eröffnungsgala, die noch auf die zahlreichen Promipartys wollen.
Die Berlinale sparte sich alle Eröfffnungsreden
Die Festivalleitung hält nach dem langen Start im Sitzen diesmal ein eigenes DJ-Set im Premierenpalast bereit, um in der ersten Nacht die Beine wieder in Schwung zu bekommen. Die deutsche Film-Elite pilgert derweil in der ersten Nacht weiter zu großen Hotelsälen, in denen bekleidete Produzenten mit halbnackten Schauspielerinnen tanzen. Das erkennt man leider immer sofort.
Was bei der Eröffnungsgala alle sehen können: Tilda Swinton ist die coolste Socke im Filmgeschäft. Nachdem die schottische Kinoikone den Goldenen Ehrenbären überreicht bekommt, hält sie eine fulminante Rede über die Schönheit der Berlinale, bei der sie erstmals 1986 als junge Frau vor dem Zoo-Palast durch den Schnee getobt ist, und über den humanitären Wert des Kinos, das nicht nur das Licht zeigt, sondern auch die Dunkelheit, nicht nur das Ausgesprochene, sondern auch das Unausgesprochene.
Und sie sagt zur Lage der Welt, was gesagt werden muss: dass man dem Morden ins Gesicht sehen muss, aber sich niemals gemein machen darf mit den Mördern und Kriegsverbrechern. Ansonsten spart sich die Berlinale erstmals alle Eröffnungsreden und Polit-Bekenntnisse, die neue Festivalchefin Trisha Tuttle setzt auf die Kraft des Unausgesprochenen. Sie will lieber die Filme sprechen lassen. Und die Menschen, die sie sehen.
Als der Film zu Ende ist, geht der Dialog in der Kinoreihe vor mir noch weiter. „Du hast dich ein Jahr lang nicht gemeldet“, sagt Hans-Werner zu der Frau, die sich zwei Plätze neben ihm erhebt. „Ich dachte, du bist tot“, antwortet sie und geht.
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