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Der Dirigent Simon Rattle.

© Juaan Carlos Cardenas/dpa

"Tristan und Isolde" in der Philharmonie Berlin: Tageshelle in der Nacht

Simon Rattle dirigiert eine konzertante Aufführung von „Tristan und Isolde“ in der Berliner Philharmonie.

Im letzten Takt, als der Tristan-Akkord endlich, endlich seine Auflösung erfährt, stellt sie sich ein, jene magisch-mystische Einheit von Orchester, Sängern und Publikum, jene wie traumverloren schwebende Balance aller Elemente, die Isolde meinen muss, wenn sie sich in „des Welt- Atems wehendem All“ verlieren will. Eine Einheit, die in eine große, langanhaltende Stille in der Philharmonie mündet, wie man sie in dieser Intensität selten erlebt. Sekunden wie Stunden. Ein Glücksmoment.

Wäre es mal vorher schon so gewesen. Aber diese konzertante Aufführung von Wagners „Tristan und Isolde“ durchzieht eine Unwucht. Die Berliner Philharmoniker zeigen, bei aller glitzernd strömenden Süffigkeit des Klangs, allen tollen, versonnenen Soli deutlich mehr Interesse für die wenigen Momente, in denen tatsächlich etwas passiert. Da springen sie mit aller dynamischen Wucht in die Partitur, da wird aufgefahren, was der Orchesterklang hergibt. Die langen Passagen dazwischen, in denen der eigentliche Charakter der Oper aufbewahrt ist, wirken dagegen vernachlässigt, die Interpretation bekommt dadurch etwas Ruckeliges.

Man sieht, wie Simon Rattle immer wieder vermittelt, Scharnier sein möchte zwischen Orchester und Solisten. Und doch nicht verhindern kann, dass es eine eher laute, sängerunfreundliche Aufführung wird. Zum Glück kein Problem für den warmen, voluminösen, dabei nicht stählernen und den Abend erfreulich prägenden Sopran von Eva-Maria Westbroek. Sarah Conollys etwas schärferer Mezzo muss sich hingegen als Brangäne erst durchsetzen. Michael Nagy singt einen kräftig-virilen Kurwenal, Stephen Milling schleicht als Marke zunächst ganz unspektakulär hinein, um dann aber mit breit strömendem Bass markante Akzente zu setzen. Zorn, Bitterkeit und Trauer dieses Königs verweben sich zu einer gefährlichen Melange.

Mimisch fährt Stuart Skelton als Tristan einiges auf

Mimisch hat Stuart Skelton als Tristan einiges aufzufahren. Seine Züge wirken zunehmend vom Geschehen entkoppelt, als würde ein Kind am Rechner mit einem Bildbearbeitungsprogramm alle Varianten eines Gesichts ausprobieren. Uneinheitlich schwankend auch sein Tenor, mal Hollywood-Breitwandsound, mal kaum hörbar. Die Gesänge des 3. Akts beginnt er allerdings verhalten und klug dosiert, um Kräfte zu sparen. Was den Vorteil hat, dass er dabei tatsächlich wirkt wie ein Verwundeter, dem das Bewusstsein an und aus flackert.

„Tristan und Isolde“ sperrt sich wie keine zweite Oper Wagners gegen die konzertante Aufführungsform. Die taghellen Leuchten der Philharmonie verhöhnen die Sehnsucht des Liebespaars nach der Nacht und verhindern, dass die Musik, wie der Komponist schreibt, „mit ihren feinen, geheimnisvoll-flüssigen Säften durch die subtilsten Poren der Empfindung bis auf das Mark des Lebens eindringt.“ Um glaubhaft zu zeigen, wie sich Tristan und Isolde in ihre eigene Wirklichkeit einspinnen, die von der Realität der Anderen nur gelegentlich und von Außen eingedellt wird, braucht es wohl doch die Bühne.

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