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Kölner Kulisse. Rudolf Zwirner (sitzend) vor seiner ersten Galerie in der Domstadt mit Tochter Esther, Ursula Reppin und Mitarbeiter Albert Moehn, um 1962/63.

© Guido Mangold

Anfänge des Berliner Kunsthandels: Tausche Autoreifen gegen Gemälde

Der 84-jährige Kunsthändler Rudolf Zwirner war in der Nachkriegszeit Volontär in einer Berliner Galerie. Im Max Liebermann Haus erzählt er von den chaotischen Anfängen des Westberliner Kunstmarkts.

Berlin im Sommer 1945. Der Krieg ist drei Monate vorüber, die Stadt liegt in Trümmern, da eröffnet in einem Ladenlokal Ecke Uhlandstraße und Kurfürstendamm eine Galerie. Passanten drücken sich an den Schaufensterscheiben die Nasen platt, denn dort sind erstmals wieder öffentlich Werke von Lehmbruck, Archipenko, Barlach, Kollwitz, Marc und Schmidt-Rottluff zu sehen, die noch kurz zuvor als „entartet“ galten. Außerdem hängen Bilder von Heinz Trökes an den Wänden, der zusammen mit dem Buchhändler Gerd Rosen und Konsul Flemming den Mut besaß, hier die erste Galerie der Nachkriegszeit in Deutschland zu gründen.

Die Pioniertat ist oft beschrieben worden, als Heldengeschichte: wie gegen Bezahlung mit amerikanischen Zigaretten Handwerker für den Umbau der Galerie gewonnen wurden und dass der Mensch zum Überleben eben doch die Kultur braucht. Der einstige Kölner Galerist Rudolf Zwirner aber erzählt sie ein wenig anders: als ein Abenteuer von Glücksrittern und Goldsuchern, deren feilgebotene Kunst oft genug aus obskuren Quellen stammte.

Damals interessierte vor allem das Geschäft. Auf Einladung der Stiftung Brandenburger Tor hält er im Rahmen der Gesprächsreihe „Kunsthandel in Berlin“ einen Vortrag über die ersten Jahre West-Berlins, die er als Volontär im Galerie- und Auktionshaus Gerd Rosen erlebte – wenn auch erst in den fünfziger Jahren.

Zwirner ist ein brillanter Erzähler

Das Max-Liebermann-Haus am Pariser Platz, wo die Stiftung residiert, erweist sich wie schon beim ersten Referat über Louis Sachse, den ersten bedeutenden Kunsthändler Berlins im 19. Jahrhunderts, erneut als idealer Ort für das Thema. Schließlich war Liebermann selbst nicht nur ein bedeutender Maler, sondern auch ein wichtiger Protagonist des damaligen Kunstmarkts. Die nach ihm benannte gemeinnützige Stiftung kennt ebenfalls keine Berührungsängste, ja propagiert geradezu die häufig eher skeptisch betrachtete Nähe zum Markt.

Rudolf Zwirner, der 1962 seine Galerie von Essen nach Köln verlegte, dort fünf Jahre später den ersten Kunstmarkt mitbegründete und als Einkäufer für den Sammler Peter Ludwig die Pop-Art nach Deutschland holte, ist ein brillanter Erzähler. Der heute wieder in seiner Geburtsstadt lebende Berliner versteht es, die große Geschichte durch kleine persönliche Erlebnisse zu veranschaulichen. Bestes Beispiel: wie er Gerd Rosen ein selbst gepinseltes Nolde-Aquarell zum Kauf anbot, an das er angeblich über seine Vermieterin geraten war.

Das Wort Provenienz kannte damals keiner

Trotz einiger Zweifel seiner Grafik-Expertin an der Echtheit hätte der Galeriechef gerne zugegriffen, wenn nicht der junge Fälscher das Blatt vor seinen Augen zerrissen hätte. Statt der erwarteten Entlassung wurde dem kessen Volontär am nächsten Tag die Leitung einer geplanten Dependance in Düsseldorf angeboten. Der hatte aber bereits andere Pläne und ging auf Einladung von Heinz Berggruen nach Paris, um dort in der Grafikabteilung von dessen Galerie zu hospitieren.

„Das Wort Provenienz kannte damals keiner“, gibt sich der 84-Jährige durchaus selbstkritisch. „Ich habe mich immer bemüht, keine Fälschungen zu verkaufen.“ Da er 90 Prozent seiner Kunst direkt im Atelier erwarb, befand sich der Händler auf der sicheren Seite. Im Nachhinein aber staunt er über die laxe Einstellung der ersten Galeristen der Berliner Nachkriegszeit gegenüber ihrer Ware, die bis vor gar nicht langer Zeit angehalten hat.

So gab Heinz Trökes später gerne zum Besten, wie er damals im Dachstuhl eines Fernfahrers ein ganzes Lager an „Brücke“-Kunst entdeckte. Als Bezahlung für zwölf Gemälde verlangte der Mann zwei Autoreifen. Die wurden ihm prompt besorgt. „Stattdessen hätte man die Polizei rufen müssen“, so Zwirner kopfschüttelnd darüber, wie zwölf Jahre NS-Zeit „das moralische Bewusstsein so torpedieren konnten, dass Mein und Dein nicht hinterfragt wurden. Auch nicht jüdischer Besitz.“

Später revolutionierte Zwirner den Kölner Kunstmarkt

Den Volontär der Galerie Rosen aber zog es bald wieder in den Westen, weg von der provinziellen Kunstszene Berlins, von einem Kunstmarkt, den die Einführung der Währungsreform durch die Westmächte beinahe zum Erliegen brachte. Damals wurde häufig Ware gegen Ware getauscht. Einer der Pioniere unter den Galeristen, Walter Schüler, hatte für seine Kunden ein Abonnement eingeführt, mit zehn bis 30 Mark monatlich für drei Bilder als Dauerleihgabe.

Dem jungen Zwirner kam das zunächst kleinlich vor, bis er die finanzielle Bedrängnis verstand. Zehn Jahre später sollte er mit der Erfindung des Kölner Kunstmarkts die Galeriearbeit gründlich revolutionieren. Die Messen gewannen an Bedeutung, für die meisten Berliner Galeristen sind sie heute die wichtigste Einkunftsquelle. Nach seiner Prognose befragt gibt sich Zwirner dennoch optimistisch: „Der internationale Kunstmarkt findet zwar hier nicht statt, aber zum Gallery Weekend wimmelt es auf den Straßen wie in Köln zu guten Zeiten.“

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