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Kultur: Teheran 2001: Nachrichten aus der Dunkelkammer

"Wenn ich den Mordfall nicht verfolge, habe ich das Gefühl, meine Eltern noch einmal zu verlieren." Mit diesen Worten erklärt Parastou Forouhar, wieso sie kämpft.

"Wenn ich den Mordfall nicht verfolge, habe ich das Gefühl, meine Eltern noch einmal zu verlieren." Mit diesen Worten erklärt Parastou Forouhar, wieso sie kämpft. Dass der in Kürze erwartete Ausgang des Strafverfahrens die Familien der Opfer und die iranische Öffentlichkeit zufrieden stellen wird, darf allerdings bezweifelt werden. Sie halten diese Angeklagten nicht für die wirklich Verantwortlichen. Vorgeworfen hat man ihnen, im Herbst 1998 die Eltern von Parastou Forouhar, zwei Aktivisten der "Partei des Iranischen Volkes", und außerdem drei Schriftsteller getötet zu haben. Mit über 20 Messerstichen in der Brust war Parvaneh Eskandari in ihrer Wohnung aufgefunden worden. Nach gewöhnlichem Mord sah das nicht aus, eher nach einer Hinrichtung. Ihrem Mann war es nicht besser ergangen. Die drei anderen Toten wurden mit Würgemalen im Straßengraben gefunden.

In jenen Tagen ging das Grauen um in Iran, jeder fürchtete, der Nächste zu sein. Gerüchte sprachen von Listen, auf denen Namen der wichtigsten Dissidenten zusammengestellt worden seien. Ihnen wolle man endgültig den Mund stopfen. Es war der erste Stolperstein, der Khatamis Regierung zu Fall hätte bringen können. In den ersten Tagen stand der Präsident, der Meinungsfreiheit und Rechtssicherheit versprochen hatte, völlig fassungslos vor dem Geschehen. Er lud den Sohn eines der Opfer ein. Siavosh Mokhtari berichtete damals, Khatami habe ihn nur angesehen und dann gesagt: Ich schäme mich, es tut mir aufrichtig leid.

Wie man im Bad Selbstmord begeht

Khatami muss schon damals gewusst haben, dass das System selbst für die Morde verantwortlich war. Bald sollten ihm Beweise dafür in die Hände fallen. Die Abteilung des Geheimdienstes, die ihm unterstellt war, hatte das Haus der Forouhars abgehört und besaß eine Kassette, auf der Stimmen der Mörder zu hören war: Dass sie den Auftrag ausgeführt hätten, teilten sie telefonisch ihrem Chef mit. Dieser konnte ermittelt werden, er saß im Geheimdienst - in einer konkurrierenden Abteilung. Mit dem Beweisstück dieser Kassette setzte Khatami den Rücktritt des Geheimdienstministers und die Verhaftung einiger Agenten durch.

Das waren Nachrichten, die Parastou Forouhar und die Angehörigen der anderen Opfer hoffnungsvoll gestimmt haben müssen. Doch dann beging Said Emami, einer der Verantwortlichen für die Morde, angeblich in seiner Zelle Selbstmord. Er habe ein Haarentfernungsmittel getrunken, hieß es. Niemand glaubte diese Geschichte. Alle wussten, es gibt da Leute, die Angst haben, Said Emami könne sie als die Hintermänner benennen. Die reformorientierte Presse wusste ihrem Ärger über die Unverfrorenheit, mit der der Öffentlichkeit Lügen aufgetischt wurden, nur durch bissige Satiren Luft zu machen. "Die Fragen eines lesenden Iraners" des Satirikers Ebrahim Nabavi machten in Teheran Furore. Frage: "Was sind die Möglichkeiten, um im Bad Selbstmord zu begehen." Wählen Sie Antwort a,b,c oder d. a) Vom Duschkopf springen. b) Die Seife verschlingen c) Am Warmwasserstrahl ersticken d) Im Bad ausrutschen.

Fast schon hatte man die Schlacht für verloren gehalten. Aber dann kam Akbar Gandschi. Der Journalist schrieb Ende 1999 ein Buch mit dem Titel "Die Dunkelkammer der Gespenster". Darin machte er Personen mit den Pseudonymen Graue Eminenz, Master Key und Rote Exzellenz für die Morde verantwortlich. Das Buch wurde zu einem Bestseller, innerhalb von vier Wochen erreichte es 27 Auflagen. Vor allem, seit der Code entschlüsselt wurde. Hinter der roten Eminenz verberge sich Ex-Staatspräsident Rafsandschani, der Master Key wurde als der ehemalige Geheimdienstminister Ali Fallahian identifiziert. Akbar Gandschi ist seit April im Gefängnis - weil er "Die Dunkelkammer der Gespenster" geschrieben hat, und nicht wegen irgendwelcher systemverhetzender Bemerkungen während einer Konferenz in Berlin, wie ihm von der iranischen Justiz vorgeworfen wird.

Dem Mann, dem Gandschi seine Informationen wahrscheinlich zu verdanken hat, erging es noch schlimmer. Said Hadscharian wurde im März bei einem Attentat lebensgefährlich verletzt. Seitdem sitzt er im Rollstuhl. Vor drei Wochen benannte Gandschi auch die anderen Hintermänner. Ranghohe Geistliche hätten die Morde mit einem Rechtsgutachten abgesegnet. "Der Haqqani-Zirkel ist für die Morde verantwortlich," behauptete Gandschi. "Und Ayatollah Yazdi ist der Theoretiker dieses Zirkels. Er sagte seinen Studenten, sie dürften Apostaten auch ohne Gerichtsurteil töten."

Kleriker jedenfalls bleiben immun

Wenn es denn stimmt, wäre dies eine entscheidende Note. Nach iranischem Gesetz wird ein Mörder verschont, wenn er nachweisen kann, dass eine religiöse Autorität den Ermordeten zum Ungläubigen erklärt hat. Die beschuldigten Geistlichen leugnen aber alle, in die Mordfälle verstrickt zu sein. Er werde übrigens keinen Selbstmord begehen, schon gar nicht mit Haarentferner, fügte Gandschi seinen Ausführungen vor Gericht umgehend hinzu. Tatsächlich hat sich Gandschi weit vorgetraut mit seinen Beschuldigungen. Das mag der Grund dafür sein, weshalb - wie Parastou Forouhar jetzt erklärte - wesentliche Teile aus den Gerichtsakten entfernt worden seien. Die Aussage Said Emamis beispielsweise. Da man außerdem die beiden Anwälte der Angehörigen inhaftiert hat, wittern sie den Versuch, die wahren Hintergründe der Morde zu verschleiern. Deshalb hatten alle fünf Parteien ihre Anwälte entlassen und dem Prozess nicht beigewohnt. "Unter den gegebenen Umständen haben wir von dem Prozess nichts zu erwarten," hatte Parastou Forouhar erklärt. "Unsere Anwesenheit würde nur eines jeden Intelligenz beleidigen."

Reformorientierte Abgeordnete, die ebenfalls befürchten, die ganze Wahrheit über die Morde werde vielleicht nie ans Licht kommen, haben jetzt gedroht, sich selber des Falles anzunehmen. Doch welchen Erfolg könnte das haben? Die Gerüchteküche brodelt. Angeblich habe Revolutionsführer Ali Khamenei persönlich angeordnet, kein Mitglied des Klerus, ganz gleich, wie verstrickt in den Fall, solle zur Rechenschaft gezogen werden. Wie erfolgreich das Bemühen einiger Parlamentsabgeordneter vor diesem Hintergrund sein kann, sei dahingestellt. Damit reiht sich der Prozess in die lange Reihe von Niederlagen ein, die die Reformer haben hinnehmen müssen. Im April hatte der Revolutionsführer befohlen, alle reformorientierten Zeitungen schließen zu lassen. Jeder in Iran hatte geahnt, dass Khamenei dafür verantwortlich sei, doch erst seit wenigen Tagen ist es auch aktenkundig. Man habe auf seine Anweisung gehandelt, erklärte ein Vertreter der Justizbehörde.

Da legt der Ayatollah sein Veto ein

Die Schließung der unabhängigen Zeitungen war zwar der schlimmste Schlag für die nach Reformen verlangende iranische Bevölkerung, aber es sollte nicht der einzige bleiben. Im April wurden Haftbefehle gegen 17 Anhänger Chatamis erlassen. Der Vorwurf: Sie hätten auf einer Konferenz in Berlin Propaganda gegen die Islamische Republik gemacht. Einige der wichtigsten Stützen des Reformprozesses wurden so aus dem Verkehr gezogen. Die Reformer lassen sich nicht einschüchtern von solchen Niederlagen und wehren sich. Aber mit welchen Erfolgsaussichten? Ein weiteres Beispiel für die Blockadepolitik des Revolutionsführers: Als das reformorientierte Parlament im Sommer ein Pressegesetz verabschieden wollte, um die Journalisten vor der Willkür der konservativ dominierten Justiz zu schützen, legte Ayatollah Khamenei sein Veto ein. Der Entwurf durfte nicht einmal mehr diskutiert werden. Viele Beispiele haben in den letzten Monaten gezeigt, welch große Möglichkeiten der Revolutionsführer zur Blockierung des Reformprozesses hat. Dennoch wird er ihn nur verzögern, nicht stoppen können. Nicht, wenn jede neue Wahl ein eindeutiges Votum für die Reformer bringt. Die nächste Wahl kommt bald, im Mai.

Katajun Amirpur

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