Kultur: Tentakelterror
Virtuos: „The Host“, der erfolgreichste koreanische Film aller Zeiten
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Dieser Regisseur liebt sein Geschöpf und er schenkt ihm einen großen Auftritt. Die Regeln des Genres geben vor, dass das Monster frühestens nach einer halben Stunde einzuführen sei, und auch dann sieht man meist nur den Schwanz oder eine Kralle oder ein Auge oder ein paar Schuppen im Schatten der Nacht. Nicht so in „The Host“. Der Film ist erst einige Minuten alt, da ist die Bestie bereits so was von da: Bei hellstem Tageslicht überrennt sie in einer fast zehnminütigen Sequenz einige Dutzend Menschen, die es sich bei sommerlicher Hitze mit Dosenbier und fritiertem Tintenfisch am HanFluss in Seoul gemütlich machen. Ein mutiertes, zweifüßiges Amphibiending mit anusförmigem Schlund, unförmig in seiner Gestalt und ungeschickt in seinen Bewegungen: mehr Tier als alles, was man an Kreaturen letztens im Kino vorgesetzt bekam. Es löst keinen kalten Horror aus oder erhabenen Schrecken, sondern ist eklig, grotesk, anarchisch – und sogar komisch. Ein Prachtexemplar.
Regisseur Bong Joon-ho sah das Ding ohne Namen einst mit eigenen Augen. Es war kurz vor seiner Abschlussprüfung an der Highschool, da fiel sein müder Blick aus dem Fenster auf die Jamsil-Brücke am Han-Fluss, und Bong sah in der Ferne ein Monster am Brückenpfeiler herabgleiten. Seitdem will er diesen Film machen. Inzwischen gehört Bong zu den wichtigsten Filmemachern Südkoreas – und nach dem Erfolg seines exzellenten Thrillers „Memories of Murder“ war man schließlich bereit, ihm das nötige Geld in die Hand zu drücken. Es hat sich gelohnt: „The Host“ wurde zum erfolgreichsten südkoreanischen Film aller Zeiten – in einer Dimension, die anderswo kaum vorstellbar ist. 100 Millionen Dollar spielte der Film in seiner Heimat ein und wurde – statistisch – von jedem dritten Südkoreaner gesehen. Zeitweise lief „The Host“ in fast jedem zweiten Kinosaal des Landes.
Ein Grund für den Erfolg dieses ausgesprochen sehenswerten Filmes ist sein Bedeutungs- und Anspielungsreichtum. „The Host“ kann für jeden etwas anderes sein: ein Monsterspektakel voller Überraschungen, Familiendrama oder Ökothriller, Komödie und politische Satire. Er ist albern, erschreckend, unvorhersehbar und dabei sorgfältig bebildert wie ein Arthouse-Film. Anspielungen auf Sars, Vogelgrippe und amerikanische Kriegspropaganda sind ebenso darin wie Verweise auf die „386-Generation“ der ehemaligen Studentenprotestler und den koreanischen Konformitätszwang. Vor allem aber macht „The Host“ grandiosen Spaß.
Das Monster wütet wahllos. Dann greift es mit seinem Tentakel-Schwanz nach einem jungen Mädchen und entführt es in sein Nest. Das Mädchen ist der behütete Augapfel einer Familie, die ansonsten arg zerstritten ist: der einfältige, ständig dösende Vater (Song Kang-ho), ihr Onkel, ein verbitterter, ehemaliger Studentenprotestler (Park Hae-il), ihre Tante, weltfremdes Mitglied der koreanischen Bogenschützenmannschaft (Bae Du-na) und schließlich der freundliche, aber ungeschickte Großvater (Byeon Hie-Bong). Gemeinsam ist ihnen nur, dass sie bislang versagten, wenn es darauf ankam. Wie alle anderen, die den Angriff am Fluss überleben, wird auch die Familie isoliert – angeblich verbreitet das Monster ein gefährliches Virus. Die Medien verbreiten derweil Falschmeldungen und Hysterie. Von Regierung und Polizei allein gelassen, raufen die vier sich zusammen und brechen aus der Quarantäne aus: Sie wollen das Monster auf eigene Faust zur Strecke bringen – und werden dabei selbst zu Gejagten.
Riesenmonster hatten ihre Blütezeit im Kino der Fünfziger: in großer Zahl stampften sie über die Leinwände USamerikanischer Autokinos, als die Bedrohung durch Atomkrieg und Kommunismus allgegenwärtig schien. Bong Joonhos „The Host“ knüpft daran an, wenn er die Angst vor Terror, Biotech und Naturkatastrophen zu einer höchst unterhaltsamen Filmmetapher verbindet. Er wirft dabei allerdings eine Genre-Konvention nach der anderen über Bord. Die Charakterzeichnung hat zwar Tiefe, wird uns aber nicht in einem langen Vorspiel aufgezwungen, während doch alle nur auf die Bestie warten, sondern geschieht en passant während des gesamten Films. Am Ende schließlich kommt es zu einem ungewöhnlich getragenen Showdown, bei dem jedes Familienmitglied sein Talent nochmal ausspielen kann, seien es Molotowcocktails, Pfeil und Bogen oder schiere Manneskraft – akustisch untermalt von nichts als einem elegischen Streichorchester im Tschaikowsky-Stil. Der Sieg ist teuer erkauft: es hat Tote gegeben, mit denen nicht zu rechnen war.
„The Host“ wirkt ein wenig wie sein Geschöpf: hier und da hängen Dinge heraus, die da nicht hingehören. Beim Forwärtskommen hat der Film daher manchmal eine gewisse Unwucht. Zudem ist die deutsche Synchronisation in ihrem ungeschickten Versuch, das koreanische Komödien-Overacting sprachlich noch zu überbieten, nicht sehr gelungen. Doch „The Host“ verblüfft als das ungewöhnlichste und erfindungsreichste Monsterstück seit sehr langer Zeit – und macht augenfällig, mit welch unverschämter Einfallslosigkeit wir bisweilen aus Hollywood belästigt werden.
Cinemaxx Potsdamer Platz, Cinestar Tegel, Cubix, Eiszeit, Rollberg, Zoo-Palast
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