
© Mubi
„The Mastermind“ im Kino: Die Revolution findet im Fernsehen statt
In ihren Filmen beschreibt Kelly Reichardt ein Amerika an der sozialen Peripherie. Der Krimi „The Mastermind“ zeichnet ein tragikomisches Porträt der 70er Jahre zwischen Nixon und Vietnam.
Stand:
James Blaine „J.B.“ Mooney (Josh O’Connor) hat eine Körpersprache, als würde er das Gewicht der Welt stemmen. Immer leicht geduckt, hängende Schultern, und ein schlitzohrig-ahnungsloser Gesichtsausdruck, der den Eindruck erweckt, als wüsste er jederzeit, aus einer misslichen Situation einen Vorteil zu schlagen. Das Gegenteil ist der Fall.
Die Weltlage läuft in Kelly Reichardts in gedämpften Herbstfarben gefilmter Tragikomödie „The Mastermind“ bloß als Hintergrundrauschen mit, im Fernsehen, im Radio oder beiläufig als Zeitungsschlagzeile. Amerika führt Krieg in Vietnam und Kambodscha, auf den Straßen regt sich Protest. Doch J.B. lebt in seiner eigenen Wirklichkeit. Für ihn findet die Revolution nur im Fernsehen statt.
Klare Perspektiven auf die amerikanische Gegenwart
Nicht ganz klar bleibt bis zum Schluss, ob sich der Titel von Reichardts neuem Film auf die Eigenwahrnehmung ihres Antihelden bezieht, ob in der Beschreibung eine wohlwollende Ironie durchscheint – oder ob die beste Chronistin eines Amerikas an der gesellschaftlichen Peripherie mit dem Titel ihre Skepsis gegenüber einem ganzen Filmgenre zum Ausdruck bringen will.
Das Heist-Movie ist das Genre der Gentlemen-Gauner, Superhirne und minutiös geplanter Diebstähle. Doch ein Mastermind ist dieser J.B. Mooney eben nicht, auch wenn er seinen Plan für unfehlbar hält.
Empfohlener redaktioneller Inhalt
An dieser Stelle finden Sie einen von unseren Redakteuren ausgewählten, externen Inhalt, der den Artikel für Sie mit zusätzlichen Informationen anreichert. Sie können sich hier den externen Inhalt mit einem Klick anzeigen lassen oder wieder ausblenden.
Ich bin damit einverstanden, dass mir der externe Inhalt angezeigt wird. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr Informationen dazu erhalten Sie in den Datenschutz-Einstellungen. Diese finden Sie ganz unten auf unserer Seite im Footer, sodass Sie Ihre Einstellungen jederzeit verwalten oder widerrufen können.
In der Eröffnungssequenz streift er durch ein Museum in der Provinz von Neu-England, kein Zentrum der modernen Kunst, nicht mal der regionalen. Hier dösen die Wächter vor sich hin, während das Publikum vor den ungeschützten Gemälden verweilt.
J.B. lässt testweise eine kleine Statue aus einer Glasvitrine in seiner Tasche verschwinden, unbemerkt. Der Bruch scheint eine sichere Sache. Erst später kommen einem seiner Komplizen leise Zweifel, ob die Sache wirklich gut durchdacht ist. Aber da ist es auch schon zu spät.
Reichardts Figuren sind verlorene Gestalten in diesem großen amerikanischen Projekt, aber nur selten wählt sie für ihre Geschichten ein historisches Setting. Wenn sie es tut, wie in ihrem Western „Meek’s Cutoff“, dann mit einer klaren Perspektive auf die Gegenwart.
Der ehemalige Kunstgeschichtsstudent und erfolglose Schreiner J.B. hat irgendwann aufgegeben, seinen Platz in der Gesellschaft zu finden. Von seinem Vater (Bill Camp), einem pensionierten Richter, muss er sich vorhalten lassen, sein (möglicherweise nicht vorhandenes) Talent zu verschwenden. Von seiner Mutter (Hope Davis) leiht er sich Geld – vorgeblich für einen neuen Job, tatsächlich aber, um seinen Raub zu finanzieren.
Josh O’Connor, zu Ruhm gelangt als Prince Charles in „The Crown“ und als narzisstisches Tennis-As in „Challengers“, ist momentan einer der gefragtesten Schauspieler für diesen Typus des äußerlich vertrauensvoll erscheinenden Charismatikers, der seinen Kredit dann aber sehr schnell verspielt. Im Fall von J.B. ist das spätestens in dem Moment der Fall, in dem er und seine Crew nicht minder zurechnungsfähiger Kumpel den Diebstahl durchziehen.
Sie tragen, mit Strumpfmasken verkleidet, ganz unsuperhirnig die Gemälde am helllichten Tag aus dem Museum, während der Vierte im Fluchtwagen vor der Tür wartet. Der Suspense-Höhepunkt eines jeden Einbruchsfilms ist bei Reichardt die groteske Slapstick-Performance von ein paar Vollhonks.
An diesem Punkt endet in „The Mastermind“ auch schon das Genre, mit dem der Titel spielt – ohne gleichzeitig einem anderen den Weg zu ebnen. Die Polizei kommt logischerweise schnell dahinter, wer die Tat begangen hat.

© Mubi
J.B. kann sich zunächst noch mit Hinweis auf seinen einflussreichen Vater dem Zugriff entziehen, er bringt Frau und Kinder überhastet bei den Eltern unter und begibt sich auf eine recht ziellose, wunderbar mäandernde Odyssee, die am ehesten noch den Konventionen eines deliranten Roadmovies entspricht.
Faszination und Abscheu für dieses gesellschaftliche Subjekt
Aber Genres haben für Reichardt, wie gesagt, nur die Funktion gesellschaftlicher Beobachtungen. J.B., der sich den politischen Dynamiken seiner Zeit völlig entzieht und dessen Flucht vor der Polizei gewissermaßen die Kulmination einer lebenslangen Flucht vor einer persönlichen Haltung, Verantwortung oder etwas sozial Verbindlichem wie Integrität darstellt, merkt dann auch bald, dass die alten Allianzen längst aufgekündigt sind.
Das befreundete Pärchen (John Magaro, Gaby Hoffmann), bei dem er anklopft, blickt zwischen Faszination und Verachtung auf dieses gesellschaftliche Subjekt, das da auf seiner Couch sitzt und bei dem Apathie und kriminelle Energie eine ungute Verbindung eingehen. Es wird einsamer um J.B.
Je weiter er aus den sozialen Zusammenhängen fällt, desto asozialer wird auch der Eindruck, den er hinterlässt. Nur wenige Schauspieler verstehen es derzeit wie Josh O’Connor, solch einer Figur nur durch Mimik und Körpersprache eine tragikomische Note abzugewinnen.
Kelly Reichardt hat ein Herz für solche schrägen Gestalten, die im Grunde die Sollbruchstellen eines fragilen Gemeinschaftskonstrukts verkörpern. Insofern ist es programmatisch, dass „The Mastermind“ in den frühen 1970er Jahren spielt – jener amerikanischen Ära, die nicht zuletzt in der Popkultur für den Aufbruch steht. J.B. ist hier gewissermaßen ein revolutionärer Bartleby.
Doch Reichardts Sympathien für diesen antriebslosen Totalverweigerer der gesellschaftlichen – und letztlich auch kapitalistisch-optimierten – Sinnstiftung hat ihre Grenzen. Sie hat für J.B. die bisher böseste Schlusspointe in ihrem an armen Träumern wahrlich reichen Gesamtwerk parat. Die Revolution frisst ihre Kinder, auch die ungeliebten.
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid: