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The Roots live in Berlin: Fulminante Lehrstunde mit den Hip-Hop-Großmeistern
Angeführt von Drummer Questlove und Rapper Black Thought unternehmen die Roots in der Uber Eats Music Hall einen virtuos-unterhaltsamen Trip durch drei Jahrzehnte Band- und Musikgeschichte.
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Als The Roots 2009 den Job als Hausband von Jimmy Fallons „Tonight Show“ annahmen, war das in der 16-jährigen Geschichte der Band das erste Mal, dass deren Mitglieder so etwas wie Normalität erlebten. Statt 200 Tage im Jahr durch die Welt zu gondeln und „wie Nomaden zu leben“, waren plötzlich alle für längere Zeit zur gleichen Zeit am gleichen Ort. Das hat Roots-Mitgründer und Schlagzeuger Questlove dem Talkshow-Moderator mal in einer seiner Sendungen erzählt.
Diese Normalität führte zu einer großen musikalischen Bereicherung der „Tonight Show“, in der die Roots nicht nur Jingles spielen, sondern immer wieder ins Zentrum des Geschehens rücken, etwa mit der „Classroom Instruments“-Reihe, in der sie zusammen mit Stars wie Madonna, Ed Sheeran oder Metallica deren Hits auf Kinder-Instrumenten interpretieren. Ein großer Spaß. Gleichzeitig stellte die Hip-Hop-Gruppe aus Philadelphia ihre eigene Alben-Produktion nach 2014 ein und geht nur noch selten auf Tour.
Doch in diesem Jahr haben die Roots wieder Lust auf große Bühnen und nutzen die Sommerpause von Jimmy Fallons Show unter anderem für sechs Auftritte in Europa. Der letzte findet am Montagabend in Berlin statt und wirkt, als setze die Band ihre jahrelange angestaute Energie in einem einzigen phänomenalen Ausbruch frei.
In der ersten Stunde mischen sie alle Stücke direkt ineinander, verweisen mit Coverversionen von „Jungle Boogie“ oder „Soul Makossa“ in ihre Ahnenreihe und demonstrieren ihre Hip-Hop-untypische Arbeitsweise, die nicht auf Sampling, sondern auf Jam-Sessions basiert. Zu zehnt entfesseln die Roots, die in den Neunzigern ähnlich wie A Tribe Called Quest, Arrested Development, De La Soul oder Common eine Alternative zum Gangster Rap bildeten, einen unglaublich druckvollen Groove, der Stillstehen unmöglich macht.
Auch die Bandmitglieder selber sind – so sie nicht hinter ihren Instrumenten sitzen – viel unterwegs auf der Bühne oder führen Mini-Choreos auf. Allen voran wuselt der Sousaphon-Spieler aus der dreiköpfigen Bläsersektion als One-Man-Marching-Band ständig zwischen seinen Kollegen umher.
Szenenapplaus für Rapper Black Thought
Das Kraftzentrum der zweistündigen Show bildet jedoch Rapper Tariq Trotter alias Black Thought, der den ganzen Abend Mütze und Sonnenbrille nicht ablegen wird. Der Bart des 52-Jährigen ist mittlerweile ergraut, doch sein Flow weiterhin von einer beeindruckenden Geschmeidigkeit, Schnelligkeit und wenn nötig auch Ruppigkeit. Immer wieder bekommt er in der nicht ganz ausverkaufen Uber Eats Music Hall Szenenapplaus für seine Zeilen, etwa bei „Step Into The Realm“ vom 1999er-Roots-Durchbruchsalbum „Things Fall Apart“, dem die Band eine mitreißende Laut-Leise-Dynamik verleiht.
Abgesehen von einer kurzen Begrüßung und einer Bandvorstellung macht Black Thought keine Ansagen, es gibt auch keinen Videoscreen, keinen Nebel, Feuer oder Konfetti – der größte Showeffekt ist die Musik, da braucht es kein Zusatz-Schnickschnack. Vor allem in der zweiten Stunde gehen mal die Bläser, mal einer der Keyboarder auf Solo-Exkursionen, die zwischen Jazz, Funk und Soul oszillieren.
Epische Version des Hits „You Got Me“
Bis die große Stunde von Gitarrist Captain Kirk Douglas schlägt: Beim Megahit „You Got Me“ spielt er das im Original von Erykah Badu gesungene Leitmotiv erst auf seinem Instrument und übernimmt dann auch ihren Gesangspart. Das Breakbeat-Gewitter von Questlove bildet dann die Startrampe für seinen epischen Gniedel-Trip, der aber auch noch Platz für Sade- und Donna Summer-Zitate lässt.
Das anschließende „Seed 2.0“ wird ebenfalls zu einem Triumph, wobei die Roots hier extra rockig vorgehen und noch „Move On Up“ von Curtis Mayfield untermischen. Genial und unmittelbar einleuchtend.
Genau wie die Adaption des Surf-Klassikers „Apache“, dessen Melodie in der Hip-Hop-Geschichte häufig aufgegriffen wurde. Die Großmeister aus Philly schreiben sich hier ein – und Questlove besiegelt es mit seinem einzigen Solo des Abends, das schnell zu einem Dialog mit dem Beat-Mixer wird. Phänomenal. Hoffentlich lassen die Roots bald mal wieder ihren Sommerurlaub sausen und gehen auf Tour – ein paar neue Songs wären dafür natürlich auch eine feine Sache.
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