
© Lucie Jansch
Theater als magischer Ort: Robert Wilson zeigt ungebrochene Kreativität
An vielen Orten sind die Arbeiten des Regisseurs zu sehen. Nur nicht in Berlin. Es empfiehlt sich ein Besuch in Dresden, Hamburg oder Düsseldorf.
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Up in the air. Robert Wilsons Kalender ist in den ersten Monaten des neuen Jahres wie immer gut gefüllt. In Sofia steht seine Shakespeare-Inszenierung „The Tempest“ auf dem Spielplan, sein französisches „Junge Book“ läuft in Antwerpen und Bordeaux. „Adam’s Passion“ mit der Musik von Arvo Pärt gastiert in Rom, in Paris gibt es „Mary said what she said“ mit Isabelle Huppert und in Düsseldorf den „Sandmann“ nach E. T. A. Hoffmann, dazu Ausstellungen in New York, Dubai und Lausanne.
Man möchte meinen, dass ein einzelner Mensch dieses Programm unmöglich bewältigen kann - oder dass die Qualität darunter leidet. Aber der 81-jährige Regisseur und Designer ist präsent, betreut die Entwicklung seiner Kreationen, wie am Wochenende in Dresden.
Dort hatte am Staatsschauspiel „Dorian“ Premiere, eine Koproduktion mit dem National Kaunas Drama Theater in Litauen und dem Düsseldorfer Schauspielhaus. In Berlin hat Wilson leider keine Andockstation mehr, hier feierte er zuletzt am BE große Erfolge. Schon in den Bereich der Legenden gehören die Produktionen an der Schaubühne seit Ende der 1970er Jahre.
„Dorian“ birgt und verbirgt die Geschichte eines homosexuellen Künstlers. Der amerikanische Schriftsteller Darryl Pinckney hat schon häufiger für Robert Wilson gearbeitet. Sein Text kreiselt um Motive aus Oscar Wildes Roman „The Picture of Dorian Gray“ und Andeutungen zur Biografie des Malers Francis Bacon, der eine wilde Affäre mit einem Einbrecher hatte.
Die Einsamkeit des Entertainers
Christian Friedel aber, der Solist des Abends, bleibt allein. Er jagt ein Phantom: sich selbst. Wie Wunderland-Alice kommuniziert er mit Spiegeln. Gefangen im Glamour seiner Garderobe, berauscht sich der Narziss am eigenen Bild. Ein kalter Fisch, eine einsame, unnahbare Erscheinung. Und ein glänzender Entertainer. Christian Friedel wirbelt. Seine Energie erfasst den Zuschauerraum sofort. Wenn die Show nach anderthalb Stunden zu Ende ist, der Vaudeville-Vorhang sich nach dem letzten Song und Stepptanz schließt, tobt der Saal. Man hat das Gefühl, dass es jetzt beginnen könnte, das Drama.
Es ist schon verrückt, wie Wilson die Erwartungen zugleich bedient und unterläuft. „All art is quite useless“: Oscar Wildes berühmter Satz trifft Wilsons Weg und Wesen, seine Ästhetik. Es heißt ja nicht, dass Kunst sinnlos sei. Vielmehr zweckfrei, nicht zu benutzen in einem praktischen Sinn.
Der Künstler erschafft schöne Dinge.
Oscar Wilde
Dorian bezeichnet sich als „alley cat“, als streunenden Kater. Oscar Wilde sagte auch: „The artist is the creator of beautiful things“, ein nobles Individuum. Wilson löst den scheinbaren Widerspruch mit einer wunderbaren Szene. Die Bühnenarbeiter tanzen beim Aufräumen des chaotischen Malerateliers. Da verbeugt sich der Regisseur vor dem Team, ohne das er nicht viel wäre. Robert Wilson treibt die Maschinerie und den Betrieb zu außergewöhnlichen Leistungen. Er zeigt dabei auch Demut. Er zeigt dem Publikum, dass hinter Christian Friedels One-Man-Show viele Männer und Frauen stehen.
Mit dem Hamburger Thalia Theater verbindet Wilson eine lange und wunderbare Geschichte. „The Black Rider“ kam dort 1990 ans Licht, ganz sicher eine seiner schönsten Arbeiten überhaupt. „The Casting of the Magic Bullets“ lautete der Untertitel dieser von Tom Waits zu Texten von William Burroughs komponierten Freischütz-Fantasie.
Wilson findet auch im fortgeschrittenen Alter die eine oder andere Zauberkugel. Und so ist „H. 100 Seconds to Midnight“ in Hamburg - Premiere war im September - ein berührender Bühnenessay über das Leben und die Vergänglichkeit geworden; die Vergänglichkeit der Welt, wie wir sie kennen und zerstören. Ausgangspunkt sind Texte des Physikers Stephen Hawking und der Künstlerin Etel Adnan, zusammengeführt von Thalia-Intendant Joachim Lux.
Die Kraft der Stille
„Shifting the Silence“ nennt sich das letzte Buch der 2021 verstorbenen Etel Adnan. Wilson bewegt Felsbrocken, Häuserfronten, Lichträume, die sich bald wieder auflösen. Als würde die Musik von Philip Glass diese Visionen und Gebilde perforieren. Das große Glück der Produktion sind die Schauspieler. Barbara Nüsse hat eine Gravitas, aber auch eine Leichtfüßigkeit, die das Universum der Schwarzen Löcher abschreitet wie der abdankende Magier Prospero. Jens Harzer schafft eine ebenso starke Konzentration. Das Besondere bei ihm ist die Neugier, die in seiner Stimme liegt, das Fragende, die Ironie des Wissenden, der nichts weiß.
Die Stille verschieben. Was das bedeutet, wird klar, wenn in „Dorian“ das infernalische Krachen des Aufpralls bei einem Autounfall eingespielt wird. Wilsons Theater ist weder langsam noch leise. Es verschiebt tatsächlich und schärft die Wahrnehmung. „H. 100 Seconds to Midnight“ fällt aus dem Rahmen. Das Stück hat etwas Schamanisches. Man kann es als Klage über die drohende Klimakatastrophe betrachten. Es schwingt auch ein kosmischer Fatalismus mit. Nur noch Sekunden bis Zwölf? So viel Zeit ist dann doch nicht mehr.
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