
© Tine Acke
Tim Fischer singt Hildegard Knef: So oder so ist das Leben
Im Jubiläumsjahr der Diva, die im Dezember hundert Jahre alt geworden wäre, nimmt sich der Berliner Chansonnier Tim Fischer der Knef’schen Lieder an.
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Irgendwann, kurz vor dem 29. und letzten Lied an diesem langen, liedersatten Abend, geraten Fiktion und Realität endgültig durcheinander. „Ich danke dem Visagisten René Koch für die tolle Beratung“, sagt Tim Fischer, „er ist in den siebziger Jahren viel mit mir unterwegs gewesen.“ Huch, wie kann denn das sein? Tim Fischer ist Jahrgang 1973. In der nächsten Sekunde fällt der Groschen. Ach so, der Chansonnier spricht von sich in seiner Rolle als Hildegard Knef.
Tim Fischer singt und spielt Hildegard Knef, das ist eine Kombination, die schon vor der Uraufführung am Dienstagabend in der Bar jeder Vernunft alle Termine im März ausverkauft sein lässt. Fischer ist ein großer Anverwandler. Egal, ob es um Zarah Leander oder Georg Kreisler geht, stets widmet er sich deren Werk mit kongenialen, geschliffenen Interpretationen.
Applaus und Ahs branden auf, als Tim Fischer nach seiner dreiköpfigen Band, die in Jazztrio-Manier ein treibendes Intro vorlegt, zu Beginn des Abends die Bühne betritt. Angetan mit blonder Knef-Perücke, dem charakteristischen Makeup, gewandet in eine nachtblaue Glitzerrobe mit transparentem Umhang. Schon wird der Diva aus dem Publikum ein erster Tulpenstrauß überreicht.

© Tine Acke
„In dieser Stadt, kenn ich mich aus / In dieser Stadt war ich mal zuhaus“, Hilde Knefs Hommage an ihre geliebt-gehasste Stadt Berlin, in der die 1925 in Ulm geborene Schauspielerin, Sängerin und Autorin aufwuchs und 2002 starb, ist eine beziehungsreiche Eröffnung, der bald „Berlin, dein Gesicht hat Sommersprossen“ folgt.
Vor fünfzehn Jahren hat Tim Fischer es schon mal getan, ein „Konzert für Hildegard Knef“ gesungen. Schließlich hat er im zarten Alter von sechs Jahren zum Knef-Hit „Für mich soll’s rote Rosen regnen“ Walzer tanzen gelernt, erzählte er weiland im Gespräch. Damals in Hude bei Delmenhorst, wo Tim Fischer aufgewachsen ist, und wo die Nachbarin mit den großen silbernen Kreolen dem kleinen Jungen die Liebe einpflanzt. Zum Tanzen, dem Rosenregen und zu Hilde Knef.
Dem ersten Weltstar, den das kompromittierte Deutschland nach dem Krieg hervorgebracht hat. Und der einzigen Deutschen, die damals in einer Broadwayshow debütierte, wie es Hildegard Knef 1955 in Cole Porters „Silk Stockings“ gelang.
„Sei mal verliebt“, die eingedeutsche Version von Cole Porters „Let’s do it“ erinnert in der ersten Hälfte an diese Episode der Knef-Karriere, zu der es unzählige weitere zu erzählen gäbe. Nur, dass Tim Fischer keine davon erzählt. Seine Verneigung zum 100. Geburtstag von Hildegard Knef kommt – anders als beim Kabarettisten Ulrich Heissig, der als Irmgard Knef unterwegs ist – völlig ohne Moderation aus, sieht man von Artigkeiten wie „Guten Abend“ und „vielen Dank, Sie sind ja entzückend“ ab. Das ist schade, aber typisch für Tim Fischer, der ein Sänger ist, aber kein Conférencier sein will.
Knef war eine tolle Texterin
In sparsamen Divengestus der bodentiefen Verneigungen und des festgetackerten Strahlelächelns brettert Tim Fischer fast atemlos durch das reichhaltige Oeuvre von Hildegard Knef. Was für eine großartige Texterin die Frau war, wird in der von Charly Niessen wunderbar melancholisch vertonten Ballade „Ostseelied“ deutlich, die den chansonesken Höhepunkt der ersten Hälfte markiert: „Schenk mir die drohenden Farben des Nordens, die tropfende Stille der schneelosen Nacht. / Schenk mir die ängstlichen Lichter des Morgens, das Knistern der Dünen, den Sturm, der laut lacht.“
Nach der Pause erscheint Fischer, der sich Hildgard Knefs Mode der späten Sechziger und Siebziger hat nachschneidern lassen, in einem langen weißen Seidenkaftan, der mit Goldklunkern bestickt ist. Los geht es mit „Von nun an ging’s bergab“, der sarkastischen Minibiografie der Künstlerin, die Hans Hammerschmid, einer ihrer Lieblingskomponisten, vertont hat.
So wie die Mode zitieren auch die farbenreichen Arrangements von Mathias Weibrich, der als musikalischer Leiter am Piano sitzt, die Sechziger und Siebziger. Anklänge an Swing, Easy Listening, Jazz und viel Tempo charakterisieren die Rhythmusgruppe, die aus Lars Hansen am Bass und Bernd Oezsevim an Schlagzeug und Percussion besteht.
Angesichts der knackigen Kürze der Songs wünscht man sich mehr Atempausen. Bis auf zwei kurze Rezitationen von Knef-Gedichten, die Tim Fischer einstreut, gibt es sie aber nicht. Da kommt es gerade recht, dass Hildegard Knefs frühe und nach wie vor bitter aktuelle Ökohymne „Die Herren dieser Welt“ einen nachdenklichen Ton in diesen glitzernden Abend bringt, der noch einige Blumenbouquets mehr für Tim-Hilde Fischer-Knef bereit hält.
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