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Kultur: Trommelschläge auf der Leinwand

Kleine Retrospektive: Der Kunsthandel Wolfgang Werner zeigt Werke von Willi Baumeister in Berlin

„Das Unbekannte in der Kunst“ hat Willi Baumeister nicht nur als wegweisende Schrift der deutschen Nachkriegskunst 1947 publiziert, sondern auch zeitlebens in seinem malerischen Schaffen und Wirken herausgefordert. Ein Improvisationskünstler par excellence, dessen rastlose Experimentierfreude den Stilwandel als Methode feierte. Gegen die Erstarrung in Konventionen und den Irrtum, in der Kunst einen „erfahrungsmäßigen Halt“ zu suchen, hatte Baumeister bereits zu Studienzeiten an der Stuttgarter Kunstakademie bei Adolf Hölzel und gemeinsam mit Oskar Schlemmer gekämpft.

„Erfahrung kann aber nie auf Kunst angewandt werden. Das Unbekannte bildet den polaren Gegensatz zu jeder Erfahrung. Kunst sollte als Metamorphose betrachtet werden, als beständige Umwandlung“, schrieb der 1889 geborene Künstler 1943 während der Nazi-Diktatur. Nach dem künstlerischen Durchbruch mit den „Mauerbildern“ zu Beginn der Zwanzigerjahre, wird er 1933 mit Ausstellungsverbot belegt und seines Lehramtes an der Frankfurter Städelschule enthoben. Eine Gruppenausstellung bei Paul Cassirer im Jahre 1932 bleibt seine letzte in Deutschland bis 1945. Um so erstaunlicher ist es, dass Baumeister auch in Zeiten der Verfemung und völligen Isolation in seinem Werk eine so nuancierte Abstraktion entwickelte und trotz des Dunkels seiner Lebensumstände eine betörende Leichtigkeit der Form und Lumineszenz der Farbe seine Bilder prägen.

Die 1936 entstandene „Maske 4“ schwebt über dichten, amorphen Farbkörpern, ihr Blau beherrscht die Leinwand weder farblich noch perspektivisch. Genau betrachtet ist es nur die Idee einer Maske: ein betörendes, blaues Nichts mit zwei schwarzen Löchern, wo man die Augen allenfalls vermutet. In der im gleichen Jahr entstandenen „Studie in Erdfarben“ verschmelzen Erfahrungen der „Maschinen-Menschen“ und „Sportbilder“ mit den gestaltlosen Kreaturen der „Schemen“ und „Masken“ sowie den „Linienfiguren“.1938 übermalt Baumeister die erste Fassung, mischt Sand unter die Ölfarbe und überführt die ursprünglich luzide Figuration in eine offene, raue Tektonik. In samtenen Schwarz-, Weiß- und Ockertönen steigern sich die Gebilde zu einem eigentümlichen Tanz zwischen Stein und Wesenhaftigkeit. Als Vorstufe der amöbenartigen und zerklüfteten „Eidos“-Bilder markiert die „Studie in Erdfarben“ (240 000 Euro) einen Wendepunkt im Werk Baumeisters.

Einige Stationen dieses facettenreichen Wandels hat der Kunsthandel Wolfgang Werner nun zu einer Retrospektive en miniature zusammengestellt. Klein jedoch erscheint der Überblick lediglich in Anbetracht eines 2200 Gemälde umfassenden Oeuvres, über welches das kürzlich erschienene Werkverzeichnis von Felicitas Baumeister, der Tochter des Künstlers, und Peter Beye, dem ehemaligen Direktor der Staatsgalerie Stuttgart, beeindruckend Zeugnis ablegt. Insgesamt gelingt es der Ausstellung mit 18 Originalen aus fünf Werkgruppen von 1936 bis zum Todesjahr des Künstlers 1955 wichtige Entwicklungen Baumeisters nachzuzeichnen. Nicht zuletzt dank einiger Leihgaben von musealer Provenienz besticht die Auswahl durch ihr erfreulich hohes Niveau.

Bilder der in den Vierziger Jahren entstandenen „Afrika-Serie“, wie der „Trommelschlag“, der in Berlin zuletzt 1989 in der Retrospektive der Neuen Nationalgalerie zu sehen war, vollziehen einen weiteren Wandel nicht nur im Motivischen, sondern ebenso in der ausgeprägten Materialität. Ab 1938 hatte Baumeister mit Schlemmer und anderen Kollegen einen Vertrag mit der Wuppertaler Lackfabrik Herberts, die den Künstlern einerseits Broterwerb andererseits aber auch Möglichkeiten des Materialexperiments bot. Während Kunstharz und Spachtelkitt in „Trommelschlag“ der Farbe eine Eigenständigkeit verleihen, betont die Materialhaptik des Hintergrunds in „Afrikanische Geister“ (230 000 Euro), mit denen Baumeister 1955 auf der ersten Documenta vertreten war, den Dialog zwischen derber Flächigkeit und freiem Formenspiel.

Der unglaubliche Formenreichtum, den Baumeister in der zunächst figürlichen und später ungegenständlichen Abstraktion entfaltete, vereitelte stets eine eindeutige stilistische Zuordnung. Auch der Rezipient konnte sich bei Baumeister nie auf seine bisherigen Erfahrungen zurückziehen. Hierin mag einer der Gründe liegen, dass das Werk bis heute im Schatten des Freundes Oskar Schlemmer steht. Wenngleich Schlemmer zu Lebzeiten in seinen Tagebüchern sich selbst im „Schatten von W. B.“ sah. Doch gemeinhin wird Baumeister als Protagonist der Nachkriegskunst gehandelt und das frühe Werk außer Acht gelassen. Dabei reichen sein Wirken und seine stilprägenden Impulse bis in die frühen Zwanziger Jahre zurück. Eine Revision unter Einbeziehung des gesamten Oeuvres kann nun auch dank des Werkverzeichnisses vorgenommen werden.

Kunsthandel Wolfgang Werner, Fasanenstraße 72, bis 14. Juni; Dienstag bis Freitag 10-18 Uhr, Sonnabend 10-14 Uhr. Katalog: 10 Euro. Werkverzeichnis der Gemälde, Hatje Cantz Verlag: 298 Euro .

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