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Der Stand der Berliner Galerie Efremidis mit einer Soloschau des iranische Künstlers Hadi Fallahpisheh.

© Galerie Efremidis

Turins herausragende Kunstmesse: Bananen am Ledergürtel

Die Turiner Messe Artissima lädt zu Entdeckungen, die Museen der Stadt glänzen mit Highlights.

Von Eva Karcher

Stand:

Die weltberühmte israelische Künstlerin Michal Rovner sitzt in Turin auf der Dachterrasse der Fondazione Merz und spricht über die Flüchtlingsströme überall auf der Welt. Mit ihren Zeichnungen, Fotoarbeiten, Videos und Filmen vergegenwärtigt sie die endlosen Reihen wandernder Menschen immer und immer wieder, zeigt sie als winzige Strich-Silhouetten, vertrieben aus ihrer Heimat, unfreiwillig Schutzsuchende in Territorien, deren Bewohner sie Fremde nennen.

„Sie leben zwischen den Welten, in ständiger Alarmbereitschaft“, sagt Rovner, inzwischen sind es über 100 Millionen!" Eine erschütternde Zahl, die Rovner mit ihrer neuen Ausstellung „Alert“ als elementare Erfahrung sichtbar macht.

Rovners starke Allegorie ist nur eine von vielen großartigen Ausstellungen in den Museen und Stiftungen Turins, die die piemontesische Stadt rund um die 29. Messe Artissima veranstaltet. Ihr neuer Direktor Luigi Fassi, der hier aufgewachsen und nach internationalen Karrierestationen zurückgekehrt ist, beschreibt sie als „einzige Messe weltweit in öffentlichem Besitz, als Plattform für den Markt, eng vernetzt mit den Institutionen“. Direktoren und Kuratoren kaufen hier und ließen sich von der „Scout-Qualität der Messe“ inspirieren.

Nach solchen Kriterien hat er die 174 angereisten Galerien ausgewählt. 41 Prozent von ihnen kommen aus Italien, 59 Prozent aus 28 Nationen von Deutschland bis Cape Town. Mit durchschnittlich 300 Euro pro Quadratmeter sind die Standmieten erschwinglich, in der hohen Halle des „Oval Lingotto“ wirken selbst die kleinen Kojen entlang der breiten Flanierwege weiträumig.

Entspannt und heiter schlendern einheimische und internationale Sammler am Preview-Tag durch die Gänge, die Zahl der Gäste ist überschaubar, es gibt Zeit für Gespräche über die Werke und Freude über das Wiedersehen mit Freunden nach den Jahren der Pandemie.

Gegenüber der mondäneren und globaleren Mailänder Messe Miart bietet die Artissima einen unkomplizierteren Zugang in den italienischen Markt und die Kunstszene. Die bedeutenden einheimischen Galerien sind auch hier vor Ort – von Maggazino über Continua, Franco Noero, Tornabuoni, Sprovieri oder Lia Rumma bis zum Turiner Granden der Arte Povera Antonio Tucci Rosso. 1975 hat er seine Galerie gegründet und Künstler wie Mario Merz, Giuseppe Penone oder Giulio Paolini maßgeblich mit aufgebaut. Mit 720.000 Euro ist eine bunt leuchtende Wandarbeit von Merz eines der Top-Werke der Messe – auch im Hinblick auf den Preis.

Eine Entdeckung ist der iranische Künstler Hadi Fallahpisheh,

Gleich daneben setzt die in Berlin lebende, in Venedig geborene Monica Bonvicini bei Raffaela Cortese ihren komisch-pointierten Clash der Geschlechter mit „Heimchen am Herd“-Tischobjekten, überpolstert mit zur Decke geflochtenen schwarzen Macho-Ledergürteln, fort (ca. 95.000 €). Doch das überwiegende Spektrum der Preise bewegt sich mit Summen ab 2500 Euro für kleinformatige Zeichnungen – etwa von Juliette Blightman bei Isabella Bortolozzi – bis zu rund 30.000 Euro in einem Bereich, der nicht zuletzt dem Budget jüngerer Sammler entgegenkommt.

Neben der Berliner Galeristin sind weitere Händler aus der deutschen Metropole angereist, darunter Nagel-Draxler, der in den ersten Stunden unter anderem die Skulptur „Fuzz Banana“ von Anna Fasshauer verkaufte (35.000 €).

Eine Entdeckung ist der iranische Künstler Hadi Fallahpisheh, dem die Berliner Efremidis Galerie eine weithin beachtete Solopräsentation widmet. Nikolaus Oberhuber von KOW, der sich wie einige andere einen Stand mit einem Kollegen, dem Pariser Jocelyn Wolff, teilt, hat zwei grandiose Arbeiten (ab rund 15.000 Euro) aus dem Nachlass der amerikanischen Feministin Barbara Hammer mitgebracht. Beim Genfer Galeristen Sébastien Bertrand faszinieren drei kleine monochrome, melancholisch verrätselte Gemälde, je 12.000 Dollar, von Pferden und Muscle Cars des 1955 in Tulsa geborenen Amerikaners Joe Andoe – ebenfalls ein deutlich unterschätzter Künstler.

Was die Fondazione Prada für Mailand, ist die Fondazione Sandretto Re Rebaudengo für Turin. Parallel zur Artissima eröffnet sie drei Ausstellungen. Eine davon versammelt alle Porträts des rumänischen Starkünstlers Victor Man. Im herrschaftlichen Palazzo Capris zeigt Eugenio Re Rebaudengo mit seiner Plattform Arttuner zusätzlich jüngere Künstler. So wird der Turin-Trip endgültig zur Entdeckungsreise. (Artissima, bis 6.11., Infos: artissima.art)

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