zum Hauptinhalt
Der PEN-Ukraine-Präsident Volodymyr Yermolenko

© Peter Weiss

Ukraine-Solidaritätsabend beim Literaturfestival: Die Hölle, das ist die Abwesenheit der anderen

Im Haus der Berliner Festspiele sprachen Schriftsteller und Journalisten über die Zermürbung durch den Krieg. Es wurde ein Abend über die Müdigkeit, aus dem man ganz wach herausging.

Stand:

Im Krieg ist die Müdigkeit das, was sich keiner leisten kann und trotzdem eintritt. Die Ukraine ist müde, Deutschland ist müde, die westliche Öffentlichkeit ist müde und vielleicht, wenn sie die Erlaubnis hätten, etwas zu fühlen, sind sogar die russischen Soldaten müde. Nur das Putin-Regime wird nicht müde, seinen blutigen Feldzug weiterzuführen. Mehr noch: Das Regime nährt die Müdigkeit der anderen, sie macht die ukrainische Bevölkerung mit ihren ständigen Raketen- und Drohnenangriffe mürbe und schüchtert Europa ein, das schon länger die Courage verloren hat, im Angesicht Russlands und der eigenen Bevölkerung.

Schwierige und düstere Voraussetzungen sind es also, unter denen der PEN Berlin, der PEN Ukraine und das Ukrainische Institut diesen Solidaritätsabend im Rahmen des internationalen Literaturfestivals am Freitagabend veranstalteten. Es wurde ein Abend über die Müdigkeit, aus dem man ganz wach herausging.

Gewidmet war dieser Abend der Ukrainerin Victoria Amelina. Sie starb 2023 bei einem russischen Raketenangriff, im März dieses Jahres erschien ihr Buch „Blick auf Frauen. Den Krieg im Blick“. Die Schauspielerin Maren Eggert las daraus vor, unter anderem eine Passage, in der die Autorin von dem Tag erzählt, an dem sie sich eine Waffe besorgte.

Es sind Schilderungen des Einbruchs einer neuen Realität. Der Krieg lässt niemanden aus. Chronisten dieser neuen Realität sind unter anderem die beiden Journalisten Vassili Golod und Paul Ronzheimer, die sich zu einer ersten Gesprächsrunde zusammenfanden. Ronzheimer berichtete von seiner eigenen Erschöpfung, befasst er sich doch seit 2013 mit der Ukraine, während Golod die Zermürbungserscheinungen der ukrainischen Bevölkerung in den Blick nahm: Die zunehmenden Angriffe auf die ukrainischen Städte verdammen eine ganze Bevölkerung zur ständigen Nachtunruhe in den Schutzräumen. Auch das sei Teil der russischen Kriegsführung. 

Die Moderatorin  Alev Doğa mit den Journalisten Paul Ronzheimer und Vassili Golod.

© Peter Weiss

Während man auf diesem Podium zwei Journalisten beim Reden zusehen konnte, deren Rolle klar war, versammelte das zweite Panel des Abends drei Autorinnen und Autoren, die aus ihr herausgefallen sind: Yevgeniy Breyger, Tanja Maljartschuk und Katja Petrowskaja. Alle drei rangen sichtlich mit der Frage, was eigentlich die Aufgabe der Literatur im Krieg sei, ihre Antwort besteht darin, auf jeweils unterschiedliche Art das literarische Schreiben aufzugeben. Während Petrowskaja sich der Fotografie zuwandte, Breyger eine Form der dokumentarischen Lyrik entwickelte, fand Maljartschuk ihre neue Rolle als Herausgeberin ukrainischer Literatur: das vorhandene Material verwalten, es vor der Zerstörung bewahren, anstatt neue Sprache in den Raum zu stellen. Die einzige Literatur, die sie noch produzierten, so Petrowskaja und Maljartschuk, seien Nachrufe auf ihre Kolleginnen.

Die Frage nach der Hoffnung bleibt unbeantwortet

Eine ratlose Entschlossenheit traf auf die müde Ratlosigkeit einer Moderation, die Mühe hatte, den Sensibilitäten des Abends einen angemessenen Ton entgegenzusetzen. Ultraroutinier Jörg Thadeusz und Alev Doğan, stellvertretende Chefredakteurin bei „The Pioneer“, führten durch die Veranstaltung und wirkten doch seltsam entrückt von einer Stimmung, in der sich trotzige Traurigkeit und Schönheit mischten. Vor allem der schunkelnde Thadeusz moderierte am Abend vorbei, erzählte von Tropical Island und Tierpark Cottbus, reckte werberisch Bücher in die Höhe, schien sich allgemein eher auf Gabor Steingarts Ausflugsboot zu wähnen. Auf Doğans verkitschte Frage, was ihnen Hoffnung machte, verweigerte Katja Petrowskaja folgerichtig gleich gänzlich die Antwort.

An dieser Stelle hätte der Abend auch kippen können, doch es war glücklicherweise der PEN-Ukraine-Präsident Volodymyr Yermolenko, dem der letzte Part gehörte. In einer eindrücklichen Rede berichtete er von den ausgebrannten Geisterdörfern seiner Heimat, beklagte die Abwesenheit der Anwesenheit der anderen und kam über das radikale Böse bei Arendt zu Putin. Dieser führe nicht nur Krieg gegen die Ukraine und den Westen, sondern gegen die Gerechtigkeit selbst.

Wenn sich ein Verbrechen an das Nächste reiht, fängt das Verbrechen an, selbstsicher zu werden. Es möchte eine Welt schaffen, in der die Kategorien verschwimmen, in der Täter und Opfer uneindeutig werden. Wer einmal Sahra Wagenknecht oder Ralf Stegner zugehört hat, der weiß, wie weit dieser Kampf schon vorangeschritten ist. Yermolenko setzt diesem Verbrechen, das sich selbst ins Recht setzt, eine Kultur des Trotzes entgegen. Kultur, das ist für Yermolenko kein Überbau, keine Abendveranstaltung, nicht das Glas Weißwein danach, sondern die Struktur des Seins selbst. Ihr Status war und ist in der Ukaine schon immer bedroht, sie musste immer eine des Trotzes sein. Dieser Trotz, nicht die Hoffnung, ist das Einzige, was gegen die Müdigkeit hilft.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
false
console.debug({ userId: "", verifiedBot: "false", botCategory: "" })