
© The Estate of Ull Hohn and Galerie Neu, Berlin
Ull Hohn im Haus am Waldsee: Hinter den fetten Farben lugt Verletzlichkeit hervor
Eine bewegende Ausstellung erinnert an den Maler Ull Hohn, der 1995 in Berlin an den Folgen von Aids verstarb und sein Werk angesichts des Todes einer Revision unterzog.
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Es muss schwer sein, über Malereigeschichte, Politik, Institutionen nachzudenken, wenn man ahnt, dass man stirbt. Es ist schwer zu malen, wenn die Netzhaut sich ablöst, die Nerven entzündet sind, der Körper von Durchfall und Fieber ausgezehrt wird. Es ist schwer, diese körperlichen und seelischen Zustände in ein Bild, eine malerische Geste einzubeziehen, ohne dabei sentimental, persönlich zu werden, sondern stattdessen analytisch, ohne rohen Affekt an die Sache zu gehen.
Wenn man heute im Haus am Waldsee Ull Hohns Ausstellung „Revisions“ anschaut, die Gemälde, die in den späten 1980ern, den frühen 1990ern in der institutionskritischen Szene New Yorks entstanden, ahnt man etwas von diesem Leben mit Aids. Man spürt nicht nur die Krankheit, viel mehr den Hedonismus, das Intellektuelle, etwas Snobistische dieses Lebens, das sich ganz der Selbstbefragung, der Selbstwerdung durch Kunst verschrieben hat.

© The Estate of Ull Hohn and Galerie Neu, Berlin
Dabei ist dies nicht der Gegenstand, sondern höchstens Anlass dieser Bilder, die da kühl und etwas kinky in den Räumen hängen wie die Geschwister von Donald Judds berühmten Stahlboxen – theatralische, schwule Revisionen männlich dominierter Malereigeschichte, von Alten Meistern über Minimal Art bis hin zur postmodernen Malerei. Hohns Kästen ähneln Requisiten einer Inszenierung. Sie sind aus Spanplatte gezimmert, um klarzumachen, dass das Gemälde auch ein Objekt ist, das schön minimalistisch mit dem Raum korrespondiert.
Doch diese Reinheit wird virtuos unterwandert, mit romantischen Landschaftsmotiven, die von der „Hudson River School“ aus der Mitte des 19. Jahrhunderts inspiriert sind, einer Gruppe amerikanischer Maler, die wie Albert Bierstadt (1830-1902) eng mit der Akademie in Düsseldorf verbunden waren. Hohn eignet sich die „unberührten“, auch bis zum Kitsch idealisierten Landschaften des jungen Amerikas an, ein Versprechen für kommende Siedler.
Doch bei ihm sehen sie Gerhard Richter-artig, schlierig, endzeitlich aus – getunkt in Schwefel oder Nebel aus Urin, aus denen Berge, Flüsse, Fragmente von Booten, Bäumen, Menschen ragen, pastöse Klumpen wuchern, als hätte jemand Fäkalien oder Toxine in die Erinnerung an den amerikanischen Traum gekippt. Auf anderen, abstrakten Bildern türmt sich braun glänzende Ölfarbe wie Nutella oder Kot.
Anna Gritz, die Direktorin vom Haus am Waldsee, die mit ihrem Programm – zuletzt die Choreografin und Regisseurin Gisèle Vienne – am Puls der Zeit ist, präsentiert mit Hohn ihre erste richtige „Malereiausstellung“. Aus gutem Grund. Hohns Werk wirkt erstaunlich aktuell und spielt ironisch mit der Fetischisierung, Idealisierung und Vermarktung der Malerei. Es arbeitet dabei an den Grenzen zwischen Banalem und Erhabenen, Kitsch und High-Art, Natur und Künstlichkeit.
Dabei entsteht eine böse, erotische Schönheit, wie auch nebenan auf zwei riesigen Leinwänden, auf die er mit Gipsmasse malerische, zarte und expressive Gesten modelliert hat, monochrom überzogen mit hautartig glänzendem Lack, wie mit flüssigem Make-up, eine Drag-Revision „großer Malerei“. Auf anderen Gemälden sind Masturbationsszenen oder erigierte Schwänze zu sehen, die wie abstrakte Formen über das Bild schweben. Eine ganze Serie von Landschaften ist dem TV-Maler Bob Ross und „The Joy of Painting“ gewidmet, dem amateurhaften, massenmedialen Nachhall der Hudson River School.

© The Estate of Ull Hohn and Galerie Neu, Berlin
Hohn, der 1960 in Trier geboren wurde, studierte in Berlin an der Hochschule der Künste, ging 1984 an die Düsseldorfer Akademie in Gerhard Richters Klasse und kam 1986 mit dem Whitney Independent Study Program nach New York. Mit seiner analytischen und physischen Malerei trifft er damals den Nerv der Zeit.
Er wird Teil einer konzeptionellen Kunstszene, die in der Aids-Krise, im boomenden Neoliberalismus das Kunstsystem, die Rolle der Künstler, der Institutionen, des Kunstwerkes kritisch hinterfragt. Doch Hohn, der mit seinem Freund, dem Künstler Tom Burr, so etwas wie ein Power Couple der queeren Institutionskritik bildete und 1995 an den Folgen von HIV verstarb, saß mit seiner Malerei zwischen allen Stühlen, das sieht man heute.
Hinter den schlau, manchmal auch etwas belehrend gesetzten Gesten, der Materialität und Performativität seiner Bilder lugt etwas Verletzliches, Poetisches, sehr Dringliches hervor. Hohn ist immer am besten, wenn er aus den akademischen Diskursen ausbricht, sich in unsicheres Terrain wagt.
Deutlich wird das in seinem Spätwerk, in dem er nicht die Malereigeschichte, sondern seine ersten Kunstwerke einer Revision unterzieht – die noch in der Schule oder an der Uni entstanden, die er auch „nachbessert“ : die zarte Zeichnung eines Schuhs, ein Stillleben mit Karaffe. Diese künstlerische Selbstprüfung am Ende des Lebens ist das Schwerste. Hohn, der mit dieser Ausstellung nach Hause kommt, vollzieht sie mit einer unsentimentalen, fast heiteren Sanftheit, die ihm und seinem Werk wahre Größe verleiht.
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