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Die Darsteller turnen über ein Metallgerüst in der Saalmitte.

© Matthias Heyde

Uraufführung in der Neuköllner Oper: Spray-Athen

Ist Graffiti Kunst oder Kapitalismuskritik? Das Musiktheaterstück „Betterplazes“ von Anna Catherin Loll und Carlotta Rabea Joachim.

Von Jonas Bickelmann

Es ist ein geradezu journalistisches Stück, so aktuell sind seine Themen: Der Neuköllner Timo (Christian Clauß) besprüht die Fassaden der Stadt, um gegen den Datenkonzern „Better“ zu protestieren, der sich im fiktionalisierten Rollbergkiez niederlassen will. Social-Media-Influencer Justin (Corinna Ruba) bewundert Timo, stürzt ihn aber damit ins Unheil. Beide sind Figuren im Musiktheaterstück „Betterplazes“ der Regisseurin Beka Savic, das jetzt seine Uraufführung in der der Neuköllner Oper erlebte.

Der Konzern „Better“ spielt natürlich auf Google an, Timo und sein Freund Sven (Linda Hartmann) ähneln den Sprayern „Berlin Kidz“, deren hieroglyphenartige Graffiti an Berliner Fassaden von Kotti bis Potsdamer Platz zu sehen sind. Die Devise der realen wie der Theatersprayer: „Fuck the system.“ Timo ist deshalb nicht einverstanden, wenn Sven hofft, dass sie als Künstler anerkannt werden und etwas verändern. „Kunst ist Kosmetik für den Kapitalismus“, setzt er dagegen und radikalisiert sich weiter.

Das Publikum sitzt in der Studiobühne der Neuköllner Oper direkt neben dem Bühnenbild aus Baugerüsten, durch das die Darstellerinnen turnen. Sie sprühen auf der Bühne nicht mit Farbe, sondern bedecken das Gestänge mit farbigem Klebeband. Schwarzlicht bringt es zum Leuchten.

Das Stück ist von geradezu klassischer Tragik

Die Musik der erst 24-jährigen Komponistin Carlotta Rabea Joachim dazu ist rasant und eingängig. Live gespielt an Klavier (Hans-Peter Kirchberg) und Vibraphon (Olaf Taube) entsteht der Sound einer Stadt im Dauerkonflikt. Die Sprache der Jugendkultur in Dialoge und Liedtexte zu transportieren, gelingt nicht immer, aber das ist ein altbekanntes Problem.

Großartig ist, dass „Betterplazes“ nicht zu einem pädagogischen Gegenwartskommentar wird. Denn trotz der aktuellen Themen ist der Autorin Anna Catherin Loll ein Stück von geradezu klassischer Tragik gelungen. Am Ende steht die Entscheidung zwischen moralischer Pflicht und Neigung.

Eine Innovation probiert das Team auch hier aus. Vor Beginn füllen die Zuschauer einen Fragebogen aus, dessen Ergebnisse sich dann direkt auf den Verlauf des Stücks auswirken. Die Gegenwart trägt schließlich beides in sich: Tragik und Utopie (wieder am 18., 19., 20. und 26. Februar sowie im April und Mai).

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