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Idylle

© Modrow/laif

USA: Sezessionsbestrebungen in Vermont

Im Bundesstaat Vermont schlägt das Herz einer speziellen Bewegung: Sie fordert die Unabhängigkeit des Bundesstaates - um sich und die Welt vor Präsidenten wie George W. Bush zu retten.

Bis in die Bannmeile ist der Rebellengeist bereits vorgedrungen. Das T-Shirt „US out of Vt!“ hängt gleich vorne im Schaufenster des Plattenladens Riverwalk Records, wenige Häuser neben dem State Capital in Montpelier, der Hauptstadt von Vermont. Daneben zielt ein weiteres T-Shirt auf George W. Bushs letzten Tag im Weißen Haus: „1*20*09“, die amerikanische Schreibweise für den 20. Januar 2009. Der Unmut über den Präsidenten hat dem Sezessionsgedanken in den traditionell progressiv fühlenden Neuenglandstaaten mächtig Auftrieb gegeben. Doch wie soll „Ami, go home!“ hier funktionieren – innerhalb der USA?

Lebendig ist die Bewegung in mehreren Staaten: in Alaska, das 1867 durch Kauf von Russland zu Amerika, erst 1959 als Bundesstaat akzeptiert wurde und dank seines Erdölreichtums gut allein zurechtkäme; in Hawaii, das die USA 1898 annektierten, das ebenfalls 1959 zum Bundesstaat aufstieg und bis heute eine eigene Identität pflegt.

Das Herz aber schlägt in Vermont. Linker Freigeist war in den Grünen Bergen schon immer quicklebendig. Es ist der einzige US-Staat, der einen bekennenden Sozialisten, Bernie Sanders, nach Washington entsendet: seit 1990 acht Mal als Abgeordneter, seit 2006 als Senator, in Nachfolge von Jim Jeffords, ein ebenfalls parteiunabhängiger Linker. Vermont hat seinen eigenen historischen Bezugspunkt für Abspaltungspläne: die 14 Jahre Eigenstaatlichkeit der „Vermont Republic“ von 1777 bis 1791. Und es gibt einen Kreis Intellektueller, der den Sezessionsgedanken wachhält und immer wieder in nationalen wie internationalen Medien vorantreibt. 13 Prozent der Bürger von Vermont unterstützen mittlerweile das Ziel des Austritts aus den USA und der Gründung einer zweiten Vermont Republic, ergab eine Umfrage des Center for Rural Studies der Universität in diesem Frühjahr. Ein Jahr zuvor waren es noch acht Prozent.

Geistiger Vater der „Second Vermont Republic“ ist Thomas Naylor, ein emeritierter Ökonomieprofessor der Duke-Universität mit fliehendem weißen Haar. Am Revers trägt der 70-Jährige die historische Flagge: Ein grünes Rechteck, die linke obere Ecke ist blau mit 13 weißen Sternen. „Verts Monts“ ist der französische Name für die Grünen Berge. Auch heute führe die National Guard des Staates diese Fahne beim Irakeinsatz mit sich, sagt er. Und auch ihre Soldaten nennt man die „Green Mountain Boys“ – wie damals, als die Milizen aus der Gegend erst mit den Engländern die Franzosen aus Nordamerika vertrieben, dann mit den anderen ersten 13 Kolonien gegen die Briten für die Unabhängigkeit marschierten und schließlich gegen die Herrschaftsansprüche New Yorks und New Hampshires die Eigenstaatlichkeit erfochten.

Naylor hat wenig von einem Barrikadenstürmer an sich. Er spricht mit kultivierter, sanfter Stimme, seine Worte freilich sind scharfe Munition. Die USA sind zu einer Tyrannei der großen Konzerne und der Bundesregierung entartet – „die Macht ist zu zentralisiert, zu materialistisch und zu militaristisch, sie mischt sich zu sehr in das Leben der Bürger ein, ohne ihre Bedürfnisse zu erfüllen, und greift zu illegalen Interventionen im Ausland.“

In seiner Analyse gleichen die USA der untergegangenen Sowjetunion. Sie hätten de facto ein Ein-Partei-System. Auch die Demokraten seien verkappte Republikaner, ihre Partei sei „hirntot“ und habe „seit den 60er Jahren keinen eigenständigen progressiven Gedanken mehr entwickelt“. Die Vereinigten Staaten seien unreformierbar und unregierbar geworden, seien eine Gefahr für die Freiheit ihrer Bürger wie für die Welt. Deshalb gebe es nur eine Lösung: ihre friedliche Auflösung. Er trägt das alles ohne emotionale Erregung vor. Als Treffpunkt hat er „Leunig’s“ vorgeschlagen, ein Bistro mit dem Zusatz „Old World Cafe“ mitten in der Fußgängerzone von Burlington. Für Naylor ist die Anklage wie eine historische Zwangsläufigkeit. Staaten, die zu groß werden, die zu viel Macht ansammeln, scheitern über kurz oder lang an der Komplexität ihrer Aufgabe – wie die Sowjetunion. Michail Gorbatschow ist für ihn „der größte Politiker des 20. Jahrhunderts“.

In seinem „Green Mountain Manifesto“ erklärt er über gut hundert Seiten, „Warum und wie das kleine Vermont Amerika helfen kann, sich vor sich selbst zu retten, durch Abspaltung von der Union“. Direkte Demokratie nach Schweizer Vorbild ist das Ideal, den Weg soll eine verfassungsgebende Versammlung in Vermont bahnen. Über die wirtschaftlichen und politischen Konsequenzen erfährt der Leser wenig. Gewiss, man müsse mit Sanktionen der USA rechnen. Es gehöre ja zu deren imperialistischen Methoden, jeden Staat, der sich ihrem Druck widersetzt, mit einem Wirtschaftsembargo zu überziehen. Aber für andere Länder werde es attraktiv, mit Vermont Handel zu treiben.

Naylors ruhiger und überlegter Altersradikalismus ist das Ergebnis eines Lebenswegs mit vielen scharfen Wendungen. Aufgewachsen ist er in den 40er Jahren in Jackson, Mississippi. Dort habe er aber nicht den Sezessionsgeist der Südstaaten eingeatmet, betont er, sondern im Gegenteil gelernt, deren Bürgerkrieg zur Beibehaltung der Sklaverei unter dem Deckmantel des Abspaltungsrechts zu hassen. Er studierte in New Orleans, gründete in den 70er Jahren die Software-Company Simplan Systems, die Topkonzerne mit Computerprogrammen für 50 000 Dollar pro Stück versorgte. 1980 verkaufte er die Firma, „rechtzeitig, ehe billigere Konkurrenzprogramme auf den Markt kamen“.

Seither, sagt er, habe er nie wieder einen Computer angefasst. E-Mails und Internet sind für ihn Teil der Verdummungskultur und Gehirnwäsche, „Symbol für den Techno-Faschismus“. Fortan lehrte er Wirtschaftswissenschaften an der Duke-Universität North Carolina und schrieb Bücher gegen die Konsumkultur: „Affluenza“ und „Downsizing the USA“. Nach Vermont zog er 1993 mit seiner polnischen Frau, weil das „unserem Ideal Schweizer Basisdemokratie am nächsten kommt“.

Gewiss, seine Ablehnung des Internets behindert die Mobilisierung der Bevölkerung für die Sezession. Aber darin sehen Naylor und seine Mitstreiter, die sich nachmittags zwei Ecken weiter, im „Muddy Waters“, zu einer improvisierten Strategiesitzung treffen, gar nicht ihre Hauptaufgabe. Sie sind dazu da, Informationen und Argumente zu liefern, sehen sich als „grassroots“-Initiative. Die Massenbewegung muss sich selbst formen.

Das werde kommen, zwangsläufig, sagen sie: Die steigenden Ölpreise, das Leugnen der drohenden Erderwärmung, Terrorgefahr, das Versagen des US-Gesundheitssystems und die Unfähigkeit der Regierung, auf Katastrophen wie Hurrikan „Katrina“ angemessen zu reagieren, führten über kurz oder lang zu einer politischen Explosion. Demokratische Präsidentschaftsbewerber wie Hillary Clinton oder Barack Obama seien Scheinalternativen, die in der Substanz nichts änderten. Auch der Vermonter Sozialist Bernie Sanders hat sie enttäuscht. „Der hat ja nicht mal das Impeachment von Bush betrieben“, beschweren sie sich. „Das wachsende Gefühl, von der Politik betrogen zu werden, stärkt die Sezessionsbewegung.“

Und wie werden die übrigen USA reagieren? Naylor fürchtet keine Militärinvasion, um Gottes Willen. Aber Prozesse bis hinauf zum Verfassungsgericht. Es ist einer der eklatanten Widersprüche zwischen amerikanischem Ideal in der Theorie und der Mehrheitsmeinung im Alltag. Die USA wurden gegründet durch Abspaltung von Großbritannien unter dem Universalanspruch, dass eine Regierung, die die Bedürfnisse der Untertanen nicht erfüllt, ihren Machtanspruch verwirkt. Überall in der Welt haben die USA seither das Selbstbestimmungsrecht unterstützt, von der Auflösung der Habsburgermonarchie 1919 über die Teilung der Tschechoslowakei bis zum Ende Jugoslawiens.

Nur im eigenen Land gilt der umgekehrte Grundsatz: Sezession von den Vereinigten Staaten sei illegal und unmoralisch. Die USA sind die beste aller Welten, Austritt ist Verrat an der Gründungsidee. Thomas Naylor zitiert dagegen Gründungs- und Verfassungsvater Thomas Jefferson. „Wenn eine Regierungsform destruktiv wird, haben die Bürger das Recht, sie zu verändern oder abzulehnen und eine andere Regierung an ihrer Stelle zu wählen.“ Dazu gehöre auch das Recht, eine Staatenunion zu verlassen und sich in kleinere Einheiten aufzuteilen. Die Bürger von Vermont wollten doch nur ihr Selbstbestimmungsrecht von den USA zurückfordern.

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