
© Jinhee Kim
Variable Eigenschaften: Die südkoreanische Malerin Jinhee Kim analysiert das Selbst
Jinhee Kim erforscht in ihren radikal reduzierten Porträts, wie wir auf andere wirken. Und stellt fest: Wir performen auch, wenn niemand zuschaut.
Stand:
Es gibt tausend Möglichkeiten, ein Gesicht darzustellen. Wie also malt man eines, in das alle hineinpassen? Ein Gesicht, das weder asiatisch aussieht noch europäisch? Weder Mann ist noch Frau?
Die aus Südkorea stammende Malerin Jinhee Kim versucht sich in ihrer Berliner Ausstellung an Porträts, die ohne herkömmliche Identitätsmerkmale auskommen. Mit viel Licht konturiert, blicken ihre comichaft reduzierten Gesichter in den Raum. Mit ihren Pünktchen-Pupillen schauen sie oft knapp am Betrachter vorbei oder in sich hinein. Sie haben wellige Frisuren und schlanke Nasen, die pastellfarbenen Oberflächen sind so zart und fließend gemalt, als hätte jemand mit einer Sprühdose gearbeitet.
Im Blick der anderen entsteht das Selbst
Kim malt das aber alles mit dem Pinsel. Acrylfarbe in den unteren Schichten und – für diese Serie zum ersten Mal – Pastell an den Oberflächen. So entsteht ein durchscheinender, wie sandgestrahlter Effekt: frisch geschlüpfte digitale Wesen.

© Jinhee Kim
„Zu Beginn meines Studiums in Deutschland wollte ich bestimmte Emotionen und Zustände des Seins malen. Aber immer, wenn ich eine asiatische Figur malte, fragten die Leute, warum ich nur Asiaten male; und wenn ich eine westliche Figur malte, fragten sie, warum eine asiatische Künstlerin westliche Menschen malt.“
Also verallgemeinerte sie die äußeren Merkmale und konzentrierte sich auf kleinste Alltagsgesten, die sie vor allem bei sich selbst abschaut: Kopf in die Hände stützen, in einem Buch blättern, Zigarette in der Hand halten.
„Ich glaube, einen Menschen kann man besser durch kleine Gesten und Momente beschreiben als durch große Identitätskategorien, die ohnehin nicht mehr zur Gegenwart passen. Anstatt zu sagen „die asiatische Frau mit schwarzen Haaren“, fühlt es sich viel natürlicher an, zu sagen: „die Person, die am Fenster sitzt und Wasser trinkt“, sagt Kim bei einem Treffen in ihrer Berliner Galerie Feldbusch Wiesner Rudolph nahe dem Gendarmenmarkt.
Ich male nicht, wer ich bin. Ich male die Bedingungen, die definieren, wie ich erscheine.
Künstlerin Jinhee Kim
Jinhee Kim ist 1990 in Seoul geboren, besuchte dort ein Kunstgymnasium und studierte anschließend bildende Kunst an der Hong-ik Universität. 2018 kam sie zum Meisterstudium nach Berlin an die Universität der Künste. Seitdem lebt sie in der Stadt.

© FWR Feldbusch Wiesner Rudolph Galerie
Berlin ist für sie der Ort, an dem sie in Ruhe arbeiten kann. Sie hat weniger Verpflichtungen und Termine als in Seoul. Die Stille sei produktiv, sagt sie. Malte sie zu Beginn noch expressiv mit kräftigen Pinselstrichen, wurde ihr Duktus im Lauf der Zeit immer ruhiger und flacher. Ganz im Stil der im Digitalen sozialisierten Millennials, die das fortwährende Leeren und wieder neu Befüllen des Selbst als gegeben hinnehmen.
Leere als Startpunkt
Im Atelier arbeitet Jinhee Kim am liebsten wie eine Fabrikarbeiterin: morgens rein, abends wieder raus. Kontakt zu den benachbarten Künstlerinnen – braucht sie nicht unbedingt. Am Tag der offenen Tür – hat sie zu. Sie wedelt abwehrend mit den Händen, wenn man sie nach ihrem Studio in einer ehemaligen Schokoladenfabrik fragt. Sie will erst gar keine Romantik rund um ihren Beruf aufkommen lassen. „Kunst ist Routine, kein Ausnahmezustand.“
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In ihrer neuen Porträt-Serie sind die Gesichter oft halb von einem Buch, einem Handyscreen oder einem Foto verdeckt. Man sieht ein mit Geschichten, Informationen und Gedanken überlagertes Selbst, das sich von Moment zu Moment neu konfiguriert.
„Niemand sieht zu, aber alle sind auf der Bühne“, lautet der Titel ihrer Einzelausstellung in Berlin. „In wie vielen Momenten im Leben können wir das authentische Selbst und das performative Selbst wirklich voneinander trennen? Für mich sind das keine Gegensätze. Selbst wenn niemand zusieht, sind wir auf einer Bühne und wenn wir auf einer Bühne sind, verhalten wir uns teils unbewusst“, sagt Kim, die sich schon seit ihrer Jugendzeit auch für Filmregie und Bühnenkunst begeistert.
Den Wunsch, sie im Atelier zu besuchen, umgeht sie charmant, es gäbe nichts zu sehen, sagt sie. Die meisten ihrer Bilder sind im Moment unterwegs: hier in der Berliner Galerie, in Seoul bei der Frieze-Kunstmesse, wo vieles schnell ausverkauft war, im Nationalmuseum in Gwacheon in der Überblicksausstellung „Young Korean Artists“, im Kunsthaus Erfurt.
Vor der Eröffnung in Erfurt, wo ihre Gemälde im Rahmen einer Ausstellung zum Thema „Nacht“ gezeigt werden, war sie etwas nervös. Man hat ihr erzählt, außerhalb der großen Städte sprechen weniger Menschen Englisch. Sie selbst spricht kaum Deutsch.
Aber die Sorgen waren unberechtigt, mit dem Erfurter Publikum gab es keine Kommunikationsprobleme. Wie sie letztlich auf andere wirkt, kann sie ohnehin nie ganz wissen. Vielleicht lässt es sich in ihren Bildern ablesen.
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